Schöne heile Welt

Veröffentlicht: 13. Februar 2019 in Allgemein

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Die „Disney in Concert-Show“ stillt tiefe Sehnsüchte in der Braunschweiger Volkswagenhalle                                                                 Text/Fotos: Klaus Gohlke

Ach – wenn Vaiana und Maui gemeinsam Riesenwellen und Meeresungeheuer bezwingen, wenn Tarzan seiner Jane ewige Liebe schwört, wenn die kleine rein- herzige Belle das ungeschlachte Biest rückverwandelt, wenn Aladdin seine Jasmin in die Arme schließen kann, wenn in der „Toystory“ die beiden Helden das Herz des Kindes erobern, wenn schließlich – nicht alles Wunderliebliche kann hier erwähnt werden – Simba mit Nala den Kreis des Lebens erneuert, dann, ja dann befinden wir uns mitten in der Disneyschen Wunder-Märchenwelt. Ach ja, und die Strände sind darin so weit und rein, die Luft klar, die Wälder grün wie der Schnee weiß, die Sterne tanzen.

Tja – ist das nun alles Schmonzes, ausgelutschter Kitsch, Weihrauch, der ablenken soll von den Widrigkeiten der Welt um uns herum? Ein Spiel geschäftstüchtiger Leute der Unterhaltungsbranche mit dem Bedürfnis der Menschen, einmal Ruhe zu haben von den Problemhalden des Alltags? Oder ist „Disney in Concert – Wonderful worlds“, aufgeführt am Dienstagabend in der sehr gut besuchten Braunschweiger Volkswagenhalle, einfach nur schön, „ein Traum, der wahr wird“, wie der Moderator des Abends, Jan Köppen, einleitend bemerkte.

Wie immer man das beantworten will, das Konzept der Veranstaltung ging voll auf, musste voll aufgehen.  Die Idee, eine Art „Gesamtkunstwerk“ zu kreieren, hatte was. Es wurden nicht nur gängige Melodien der Disneyschen Filmwelt gesungen und orchestral begleitet. Nein, gleichzeitig wurden Auszüge der jeweils thematisierten Animationsfilme auf die Großleinwand projiziert. Tanz, Lichtshow, Bühnenbild, Kostümierung, Sound, Glitter-, Herzchen- und Konfetti-Salven ergänzten das alles zur Mixed-Media-Show. Und damit auch gar nichts danebengeht, wurde zu den stimmlich absolut überzeugenden und beeindruckenden Musical-Solisten Sabrina Weckerlin, Elisabeth Hübert, Alexander Klaws, Mark Seibert und Anton Zetterholm noch zwei Stars der Pop-Welt, nämlich Annett Louisan und die „Voice of Germany-Stimme“ Ivy Quainoo in die Show integriert.

Das wäre alles nichts gewesen, hätte nicht als musikalisches Kraftwerk das „Hollywood-Sound-Orchstra“ unter konzentrierter Leitung von Wilhelm Keitel fungiert. Die eingängigen und gleichzeitig anspruchsvollen Musical-Kompositionen der Alan Menken, George Bruns, Robert Shermans, aber auch eines Elton John, eines Phil Collins wurden mit höchster Präzision und Feingefühl zu Gehör gebracht. Und wie das Orchester  Paul Dukas knifflige Komposition „Der Zauberlehrling“ bewältigte: Respekt.

Schön, die Disney-World Produzenten, sie spielen gewieft mit den Mechanismen unserer Gefühlswelt. Mit den Sehnsüchten, den Ängsten, dem Mitgefühl und den Abneigungen. Und die Filmmusik-Komponisten potenzieren das Ganze um ein Vielfaches. Alles oft klischeehaft und in den Ausdrucksmitteln des Animationsfilms auf Dauer stereotyp. Jedoch: die Illusionisten erlebten nicht den Zuspruch, ginge das alles an unseren Bedürfnissen nach einer heilen Welt vorbei.

Und so ging der Abend dann auch mit stehenden Ovationen zu Ende. Mit Verlassen der Halle stand man wieder in der nasskalten Realität.

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„Ich arbeite wie bescheuert“

Veröffentlicht: 6. Dezember 2018 in Allgemein

Vor seinem Auftritt im Schloss spricht der Schlagzeuger Jochen Rückert über sein Leben als Jazzer in New York.    15.11.2018                                                                       Klaus Gohlke

Wer es hier schafft, schafft es überall, singt Frank Sinatra. Der Platz zum Durchstarten. Jazzmusiker glauben immer noch daran. Wer etwas auf sich hält, geht mindestens einmal für ein Weilchen in die Welthauptstadt des Jazz. Und wer dort den Ritterschlag erhalten hat, wer mit möglichst mehreren der Großjazzer der Stadt gespielt hat, lässt das gern werbewirksam durchblicken.

Manche gehen allerdings noch einen Schritt weiter. Sie verlassen ihr Heimatland und bleiben dort. So zum Beispiel der Kölner Jazz-Schlagzeuger Jochen Rückert (43), einer der Herausragenden seiner Zunft. Rückert spielt mit seinem Quartett am Freitag in Braunschweig. Er ist amerikanischer Staatsbürger mittlerweile.

Befragt nach den Gründen, Deutschland zu verlassen und dort zu bleiben, nimmt er kein Blatt vor den Mund. „Als ich um die 19 Jahre alt war, brachte mir Deutschland musikalisch gesehen nichts mehr. Ich wollte richtigen Jazz spielen und internationaler unterwegs sein. Ich wollte Anregungen von vielen Leuten erhalten, nicht nur von wenigen. Du triffst – und das gilt immer noch – in New York viel mehr sehr unterschiedliche Musiker aus aller Herren Länder. Der Treffpunkt schlechthin!“

Nun, das war vor vielen Jahren. Mittlerweile hat die Globalisierung auch den Jazz erfasst. Hat New York jetzt nicht sein Alleinstellungsmerkmal verloren? Rückert sieht zwar keinen grundsätzlichen Wandel, räumt aber durchaus Veränderungen ein. „Das traditionelle Jazzspiel ist in Deutschland besser geworden. Auch wird der europäische Jazz immer interessanter. Aber du triffst in New York nicht doppelt so viele, sondern 50mal so viele gleichgesinnte Musiker. Und du kannst in den kleinen Clubs und bei Sessions unheimlich viel lernen und Anregungen bekommen. Und zwar täglich. Niveau und Dichte machen die Stadt aus. .“

Aber eine derartige Dichte guter Musiker bedeutet ja doch auch, dass man sehen muss, wie man an Jobs kommt. Der Club-Betrieb lahmt auch in New York. Kommen die Musiker aus den Staaten nicht deshalb so gern nach Europa und eben Deutschland, ja, ziehen von dort hierher, weil hier die Auftrittsbedingungen sehr attraktiv sind? Gute Gagen, gute Rahmenbedingungen, aufmerksames Publikum?

Rückert räumt ein, dass es schwierig ist, als Berufsmusiker auszukommen. Auch in New York. „Ich kann mich aber nicht beschweren. Ich verdiene genug Geld, ich arbeite allerdings auch wie bescheuert. Nicht nur als Musiker, auch als Lehrer, Booking Agent, Reisebüro für Musiker, Gitarristen-Kindermädchen. Ich publiziere Schlagzeug-Unterrichtsmaterial. Es ist leider auch so, dass das Wohnen schwierig geworden ist. Brooklyn ist so teuer mittlerweile, dass alle entweder weiter raus oder nach Queens, Washington Heights oder in die Bronx ziehen müssen.“

Also, doch vielleicht mal wieder mit Deutschland als Lebenszentrum liebäugeln? „Fuck no!“, kommt es spontan. Und dann erläuternd: „Ich bin verheiratet, hab einen Sohn, eine Wohnung, fühle mich zuhause. Meine Frau spricht nicht deutsch. Außerdem: Ich mache Touren durch Europa, wie jetzt gerade, auch arbeite ich fürs Goethe-Institut. Also guter Draht nach Europa. Ansonsten gibt es hier in New York viele musikalische Immigranten mit einem starken Gemeinschaftsgefühl.“

Jochen Rückert hat wichtigere Sorgen als eine Rückkehr nach Deutschland. „In der Musik finde ich eine spirituelle Befriedigung. Ist aber kompliziert. Jazz war mal gleichbedeutend mit Grenzüberschreitung. Aber es gibt immer weniger Grenzen. Alle sind schon überquert. Mir fallen jedenfalls im Moment keine unüberschrittenen Grenzen ein. Das ist aber kein Drama. Wenn du ein Publikum mit offenen Ohren hast, entsteht ein wunderbarer Energiefluss.“

 

Erfolg ist kein Naturgesetz

Veröffentlicht: 28. Oktober 2018 in Allgemein

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Die Erfolgsautorin Charlotte Link und TV-Moderatorin Bärbel Schäfer eröffnen das elfte Braunschweiger Krimifestival                                      Text und Fotos: Klaus Gohlke

Charlotte Link und Bärbel Schäfer gemeinsam auf dem Podium im ausverkauften Braunschweiger C1-Kino! Die eine die erfolgreichste Autorin Deutschlands mit mehr als 28 Millionen verkaufter Bücher allein in Deutschland, die andere eine erfolgreiche TV-Moderatorin. Das ließ Starrummel vermuten.

Aber – weit gefehlt. Diese Eröffnung des 11. Braunschweiger Krimifestivals erwies sich dann doch als Glücksgriff. Ein einschränkendes „doch“ deshalb, weil „BILD“ am Samstagmorgen fett mit „Bestseller-Autorin geht auf Merkel los!“ titelte. Gemeint war Charlotte Links heftige Kritik am Angela Merkels Migrations-und Kommunikationspolitik bei Markus Lanz im ZDF, die hohe Zustimmung vor allem im rechten poltischen Spektrum fand. Das Konzept der Veranstalter hätte leicht kippen können, eine gewisse Anspannung war unverkennbar. Das alles war aber bei der Festival-Eröffnung kein Thema.

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Vielmehr zeigten sich Autorin wie Moderatorin außerordentlich fokussiert bei der Erörterung der Frage, was denn den Erfolg von Charlotte Links neuem Kriminalroman „Die Suche“ ausmache, der mittlerweile schon auf Platz 1 gelistet wird.

Was schriftstellerische Tätigkeit, was Kreativität generell bedeutet, welche Komplexität sich damit verbinden kann, das erschloss sich dem Publikum in einem von großer Ernsthaftigkeit geprägten Dialog.

In diesem Fall nämlich 14 Monate disziplinierte Arbeit, Überwindung von Schreibblockaden, immer wieder Abstandsuche, um einen gute Handlungsentwicklung zu finden. Vor allem aber das Problem der allmählichen Verfertigung des Romans beim Schreiben. Was meint, dass die Figuren, die Handlungsstränge sich während des Schreibens entwickeln, es gewissermaßen ein Art Eigenleben der Personen gibt.

Natürlich machte Link sich da Vorgaben. Es sollte ein Fall sein, der in die Tiefe geht, nicht eindimensional bleibt. Also machte sie Kindesentführung als Worst Case zum Thema. Damit das vielschichtig wird, verschwinden vier Mädchen. Und alle im Pubertätsalter, in der konfliktuösen Ablösungsphase. Eine Zeit, die innerfamilial vieles zum Kochen bringt. Mutter-Tochter-Konflikte, Erziehungsfragen, Eheprobleme: die große Zeit der Emotionen.

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Aber gut erzählen, das ergibt das Gespräch auch, heißt erzählerisch anspruchsvoll sein. Also flexibler Wechsel von personaler und Ich-Perspektive, unterschiedliche Personenfokussierung. Und als sei das nicht genug, erweitert Link das Genre Kriminalroman noch um das der Romanze. In ihrem neuen Roman tauchen die Ermittler-Figuren des Vorgängerbuches auf. Die Scotland-Yard-Sergeantin Kate Liville und der Stadtpolizist Caleb Hales. Eine Serie tut sich auf.

Und so kann Charlotte Link auch dem Anspruch, das Ohr am Puls der Zeit zu haben, gerecht werden. Kate ist Single, natürlich einsam, also bei Social Media, genauer beim Parship-Date. Und das erlaubt der Autorin, die Elemente des Abgründigen, des Spannenden um jenes des Satirisch-Humorvollen zu erweitern.

Dass das alles zu einem gelungenen Werk und nicht zu einer überfordernden Unübersichtlichkeit für den Leser wird, das ist eben die Kunst. Link scheint über eine Sprache zu verfügen, die ankommt. Das zeigten jedenfalls die spontanen Reaktionen des Publikums beim Vorlesen. Ob das für den ganzen Roman gilt, kann hier nun nicht beurteilt werden.

Dass das Genre Kriminalroman im allgemeinen und Charlotte Links neues Buch insbesondere eine erhebliche Bedeutung für den kommerziellen Buchhandel hat, das war an der Länge der „Signierschlange“ zu erkennen.

 

Gewagtes Spiel des Unterhaltungs-Chefarztes

Veröffentlicht: 18. Oktober 2018 in Allgemein

Wie sich der Braunschweiger Neurologe Dr. Ekkehard Klippel in der Brunsivga als Kabarettist Eco Klippel schlägt.                                         Text und Fotos: Klaus Gohlke

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Is‘ was, Doc? Das Wartezimmer Brunsviga ist überfüllt, doch wo bleibt der Heiler, Dr. Ekkehard Klippel a.k.a. Eco Klippel? Die Minuten zerrinnen, nichts tut sich. Muss denn Eco Klippel, hauptberuflich Neurologe, so gnadenlos demonstrieren, wie die Wirklichkeit in Praxis-Wartezimmern ausschaut? Es ist doch Kleinkunst angesagt in der Brunsviga am noch lauen Mittwochabend! Sein neues Programm „Mutti ist schuld“ nämlich.

Gemach. Doc spielt eben Doc, das kann er am besten. Und so präsentiert er sich als Dr. Eco Klippel. Unterhaltungs-Chefarzt, von einer chinesischen Gesundheitsfirma eingestellt, um Burnout-Patienten zu heilen. Das ist so in etwa der Erzählrahmen, in den eigentlich alles reinpasst. Patienten, wie Igor Potemkin, der für Putin „Fake-WM-Stadien“ baute. Die Social-Media-Influencerin Saskia, für die der Google rollen muss. Und auch der Torero Ramon aus Sevilla, der beruflich wegen einer Kuhhaar-Allergie scheitert (Was ja nicht Burnout ist – oder?).

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Aber auch alles andere aus Eco Klippels bisheriger Produktion ließ sich mehr oder weniger schlüssig integrieren. Die „Rheinische Frohnatur“, ergänzt um die sächsische, die den Vorzug hat, dass man ihre Sprache nicht versteht. „Yoda“, das von Starwars-Time im Altersheim erzählt. Mit Bettpfannen statt Lichtschwertern, eine hübsch-sarkastische Idee. Der Amoklauf-Wunsch gegen die Telekom und ein Loblied auf das Therapeutikum Lithium, das die Herren Putin, Trump und Erdogan in menschenfreundlichere Zustände versetzen könnte.

Manches wirkt aufgesetzt, etwa die Social-Media-Kritik in „Die versaute WhatsApp-Gruppe“. Es gibt aber auch echt starke Momente. Vor allem sein „Gangsta-Hip-Hop-Bachelaaa“ zeigt Klippels feine Beobachtungs- und Parodistengabe. Wie er da so auf der Bühne herumschlakst, eckig zappelt und wortspielt, das begeistert. Und man muss, weil das ja alles schnell abläuft, so mancher gelungenen Sprachspielerei nachtrauern. Dabei auch noch die Dramaturgie des Abends nicht aus dem Blick zu verlieren und die Schreckmomente versagender Technik wegzustecken – Respekt (warum ihm da niemand hilfreich beistand: rätselhaft).

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Neu allerdings – wie es die Patienteninformation alias Vorankündigung – deklarierte, ist das Programm nun nicht. Eine „neue Zusammenstellung“ wäre das präzisere Etikett. Warum die aber „Mutti ist schuld“ überschrieben wird, erschließt sich nicht. Die Mutti wird zwar per Smartphone eingeführt, was aber ihre sinnstiftende Funktion sein soll, bleibt schleierhaft. Wer einen politischen Kontext vermutete, sah sich auch eher in der Sackgasse landen. Frau Merkel wurde kurz im Zusammenhang mit der Frage, was uns denn mit ihren Abgang aus dem Kanzleramt erwarten könnte, ins Spiel gebracht. Die Antwort wurde aber in einer leicht rührseligen Mutterhymne ins sogenannte Allgemein-Menschliche verflüchtigt.

Für das Publikum war es aber offenbar kein Problem. Viel Applaus und Zugabewünsche. War da etwa Lithium im Spiel?

Jazz zum Wohlfühlen

Veröffentlicht: 14. Oktober 2018 in Allgemein

20181013_200927Das Możdżer-Danielsson-Fresco-Trio zeigt die Farbigkeit der Welt der improvisierten Musik  Text: Klaus Gohlke,  Fotos: KC Amme (unten), Klaus Gohlke (oben)

 Eden. Sie denken woran? Natürlich. An den Garten. Friedliche Bilder stellen sich ein, stimmt’s? Zephyr, der mild-segensreiche Windhauch, blühende Landschaft, Friede, Freude, naja – und Adam und Eva – vorm veganen Apfelmahl allerdings.

„Eden“, das war der Opener beim Jazzkonzert des Możdżer-Danielsson-Fresco-Trios am Samstagabend im LOT Braunschweig. Und er schien alle Klischees zu diesem polnischen Ausnahme-Jazzpianisten zu bestätigen. Sehr atmosphärische Musik, Wohlklang und Harmonie, klassisch geschult. Es perlte nur so vor sich hin. Eben zephyrisch. Und der Schwede Lars Danielsson am Bass, später auch Cello, sowie sein israelischer Perkussion-Kollege Zohar Fresco taten nicht das Geringste, diesen seelenfriedlichen Eindruck zu stören. Die Grundtöne der Akkorde wurden fein akzentuiert, später die Melodie tieftönend zärtlich umspielt. Besenreiser streichelten die kleinen und größeren Rahmentrommeln. Für Hardcore-Jazzer musste das wohl der Untergang des Jazz-Abendlandes sein.

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Jedoch – es musste genauso klar sein, dass das so nicht weitergehen konnte. Możdżer ist ja nicht der Claydermann des Jazz! Der Abend machte vielmehr deutlich, dass es ihm mit diesem Trio (und überhaupt) eher darum geht, die Farbigkeit der Welt improvisierter Musik aufscheinen zu lassen. Ein Angebot, keine Vorschrift, Gefühle zu erleben.

Und so gab es die Akkordbrechungen, Dissonanzen, Verschiebung der Metren, Tempovariationen, rhythmische Finessen, die klangliche Selbstgefälligkeit nie aufkommen ließ. Ja, bei „Polska“ konnte man das ganze Stück hindurch den Eindruck gewinnen, als spielten die Musiker alle etwas anderes. Am ehesten noch von einem rhythmischen Muster verbunden, ansonsten aber auf seltsame Weise wie um einen Ton daneben.

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In der Regel aber gab es diese Ausbrüche ins unvermeidlich Schräge nur phasenweise in den Kompositionen. Das Zuhören hätte man zu einem Ratespiel über die Dramaturgie der Stücke machen können. Wann kommt der Ausflug ins Abstraktere, wann die Rückkehr ins ruhige Fahrwasser? Hätte. Wäre man dann nicht doch immer wieder, wie bei „Incogitor“ oder dem Depeche Mode -Cover „Enjoy the silence“ in eine Stimmung versetzt worden, die Ratespiele ad absurdum führten. Wenige Akkorde nur, starke lyrische Momente bei Bass und Piano, dazu Frescos lautmalende Stimme – ein wiegendes Ein- und Ausatmen, mehr nicht. Und doch absolut kitschfrei.

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Das Trio spielt schon lange zusammen. Die fein gesponnene Dynamik und differenzierte Interaktion macht alles Auftrumpfen und Prahlerische unnötig. Begeisternd-ansteckend die immer noch ungemeine Spielfreude der Drei. Improvisierte Musik auf höchstem Niveau.

„Das Highlight des Jahres!“, kommentierten viele Gäste diesen Auftritt, den die Initiative Jazz-BS auch als Gruß an den deutsch-polnischen Kulturverein Braunschweig verstanden wissen wollte, der nunmehr seit 20 Jahren besteht. Fein, dass Leszek Możdżer dann noch geduldig den Signier-und Fotowünschen vor allem der Zuhörer mit polnischen Wurzeln entsprach.

Keine Angst vor großen Klassikern

Veröffentlicht: 3. Oktober 2018 in Allgemein

David Helbocks „Random/Control“ interpretiert Jazz-Piano-Hits neu

Interview.Klaus Gohlke    Foto: Helbock

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Das österreichische Jazztrio „Random/Control“ des Pianisten David Helbock kennt keine Berührungsängste. Volksmusik, Latin, Bebop – alles kann ins Jazz-Idiom überführt werden. Bei ihrem Auftritt am 22. September 2018 im Roten Saal in Braunschweig geht es diesmal multiinstrumental um Jazz-Piano-Klassiker. Klaus Gohlke mailte mit dem Bandleader über seine Bearbeitung von Standards.

Das Konzert ist „Tour d’Horizon „ überschrieben? Was ist damit gemeint?

 Es geht um einen Überblick über meinen musikalischen Horizont. So habe ich Kompositionen von jenen Jazzpianisten und Jazzpianistinnen, die mich bis jetzt am meisten geprägt haben, genommen und für diese ganz spezielle Besetzung arrangiert.

 Die Jazzfreunde könnten denken oder argwöhnen, dass ihr da einfach nur ein paar Greatest Hits covert. Warum soll man sich diese Klassiker von euch anhören, statt dem Original zu lauschen?

 Diese Band „Random/Control“ gibt es mittlerweile seit über 10 Jahren und wir haben in den letzten Jahren einen ganz eigenständigen Bandsound entwickelt. Es ist zwar ein Trio, aber Andreas Broger spielt alle möglichen Holzblasinstrumente von diversen Saxophonen und Klarinetten bis hin zu Flöten und Johannes Bär ist ebenso ein Multiinstrumentalist auf Blechblasinstrumenten vom Alphorn bis hin zur Trompete oder zum Sousaphon. Dadurch sind aber auch für mich als Arrangeur fast unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten denkbar und es entsteht ein ganz eigener Bandsound. Meiner Meinung nach ist dieser Bandsound so was Einzigartiges, dass es fast egal ist, was wir als Ausgangsmaterial nehmen. Aber schlussendlich klingt es immer nach dieser Band, nach Random/Control.

 „Sentimental Mood“ von Ellington, „Watermelon Man“ von Hancock, „My Song“ von Jarrett – hattest du nicht Angst oder Bedenken, dich an solche Klassiker ran zu wagen?

 Natürlich hatte ich Bedenken. Mit einem „normalen“ Klaviertrio hätte ich das nie gemacht. Aber mit dieser speziellen Band ist es meiner Meinung nach möglich, auch diese Klassiker, die schon viel zu oft gespielt wurden, von einer neuen Seite zu präsentieren. Ich denke sogar, dass es fürs Publikum sehr spannend ist, alte und bekannte Melodien in so einer neuen und spannenden Besetzung wieder zu entdecken. Auch habe ich als Arrangeur versucht, die Essenz der Stücke zu bewahren, aber doch einen sehr eigenen Weg zu finden, sie zu interpretieren und das fiel mir mit den vielen Kombinationsmöglichkeiten von unterschiedlichen Instrumenten sehr leicht.

Wenn ich eure Instrumentensammlung ansehe, die während des Konzertes zum Einsatz kommt, habe ich den Eindruck, dass das nicht immer sehr ernst zugeht. Täuscht das? Wenn nicht, warum ist dir das wichtig, dem Jazz Humor einzupflanzen?

 Es ist sicher wichtig, dass ich bzw. wir auf der Bühne Spaß haben. Sonst könnte ich nicht über 100 Konzerte mit dieser Band spielen. Es ist aber keinesfalls reiner Witz oder Akrobatik, nur um viele Instrumente einzusetzen, sondern das sollte auch musikalisch natürlich Sinn machen. Mir gefällt das Wort „Spielfreude“ besser als Humor. Und ja, es ist mir wichtig, dass wir uns auch gegenseitig immer wieder überraschen, jemand auch mal ein anderes Instrument in die Hand nimmt, als an dieser Stelle ausgemacht und die anderen zwei dadurch wieder darauf reagieren müssen und so jeden Abend doch etwas Neues entsteht.

Random/Control, Roter Saal Braunschweig, 22. 9. 18, 20 Uhr. Üblicher Vorverkauf.

Jazz als Lebensgefühl

Veröffentlicht: 3. Oktober 2018 in Allgemein

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Der Braunschweiger Jazz-Piano-Lehrer Otto Wolters begeht seinen 80.Geburtstag

Text und Fotos: Klaus Gohlke

Man nennt ihn eine Braunschweiger Institution, gerne auch Urgestein. Manche reden ihn mit „Herr Wolters“ an, andere sprechen von Piano Wolters. Meist aber Otto, Jazz-Otto. Otto Wolters hat Geburtstag, den 80. Da wird festlich gesprochen und geschrieben. Otto zieht die Augenbrauen hoch und meint: „Wenn man für sein Lebenswerk gewürdigt wird, dann ist man ja doch ziemlich alt. Das ist Abschluss, viel Blick nach vorn ist da nicht. Also eher Anlass zu Melancholie – oder?“

Wo er Recht hat, hat er Recht. Aber doch: Einspruch. Melancholie ja, aber nicht etwa Traurigkeit. Das wäre nun absolut nicht angesagt zu so einem Ehrentag. Eher ein Blick zurück voller Zufriedenheit, auch Stolz, wenn man das Wort noch mag. Darüber oder darunter freilich eine gewisse Patina, eine Eintrübung, da muss man nicht drum herum reden.

Otto Wolters hat den Jazz in Braunschweig heimisch gemacht. Einmal als Praktiker mit seinem Trio. Dann aber als Mitbegründer der Braunschweiger Musikerinitiative. Die Großen der improvisierten Musik lockte er mit seinem Team nach Braunschweig. Pat Metheny etwa, Shooting Star aus den USA. Die Avantgarde aus Deutschland: Albert Mangelsdorff, Joachim Kühn. „Jazz im Lindenhof“ wurde kreiert, kein Braunschweiger „Village Vanguard“, aber durchaus Kult. Und legendär das „Nachglühen“ bei den Sessions nach den Konzerten. Bei Bolle in der Bassgeige.

Ein Quantensprung dann 1985. An der Städtischen Musikschule Braunschweig konnte man wohl Klavierunterricht nehmen. Aber nur “klassisch“, wie man so sagt. Otto konnte klassisch, aber eben viel lieber jazzig. „Die damalige Musikschulleitung hat weitsichtig erkannt, dass es gut wäre, Otto Wolters Jazz-Klavier unterrichten zu lassen und eröffnete einen entsprechenden Studiengang. Die erste ganze Stelle dafür in Niedersachsen!“, wie Wolters‘ Kollege, Jürgen Niemann, zu berichten weiß. „Beinahe zwanzig Jahre war er Lehrer an unserer Musikschule. Ein ausgesprochen beliebter Lehrer sowohl im Kollegium als auch bei den Lernenden!“, urteilt Kulturamtsleiterin Frau Dr. Anja Hesse.

Man könnte nun Vieles aufzählen. Wo Otto Wolters wann mit wem spielte, regional, national, international. Natürlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass er für das Goethe-Institut unterwegs war. Mit Hans-Christian Wille zusammen das Crossover-Projekt „Jazz&Klassik“ veranstaltete, Schallplatten einspielte und vieles andere mehr für den Jazz und als Jazzer tat.

Seine ehemaligen Schülerinnen und Schüler, heute gestandene Musiker und Stadt-, in zwei Fällen sogar dem Jazz-Erdkreis bekannt, erwähnen das alles nicht. Anderes ist für sie erwähnenswert, wie ein Rundruf ergab.

Hans Christian Hasse, Piano-Dozent an der TU Braunschweig, hebt Wolters‘ Ansehen, seine Beliebtheit und vor allem seine pädagogische Erfahrung hervor. Was unser „Piano-Doc“ Jan Behrens mit dem Satz „Er hat mich durch meine pubertäre Faulheit hin zu einem absolvierten Jazzklavierstudium gebracht!“ veranschaulicht. Ulrike Moormann, praktizierende Jazzerin, die erst spät bei Wolters den musikalischen Feinschliff erarbeite, empfand zunächst „Bewunderung und Respekt vor dieser großen Persönlichkeit“, vermutete eine gewisse Unnahbarkeit. Um dann festzustellen: „Nach der ersten Stunde war mir allerdings klar: ein ganz normaler Mensch im wahren positiven Sinn!“ Auch Jazz-Ini-Kollege Thomas Geese hebt diesen Zug hervor und unterstreicht: „Otto holte sachlich und besonnen die idealistischen Enthusiasten immer wieder auf der Boden der Realität zurück.“

Wesentlich an Otto Wolters‘ Pianounterricht muss dabei wohl gewesen sein, dass er eben nicht nur Jazz staubtrocken und schematisch lehrte, sondern undogmatisch vorging. Sven Waida, Braunschweiger Jazzer und Liederbuch-Autor betont: “Er ging auf mich in meiner Art ein und gab meiner Kreativität Entfaltungsmöglichkeiten!“ Was unser Allround-Talent Jan-Heie Erchinger mit einem anderen Detail würzt: „Er hat mich gleichzeitig mit abgefahrenen Geschichten aus der real existierenden Jazzmusiker-Welt inspiriert.“

Aber es müssen nicht immer Pianisten aus Wolters‘ Jazzlehre hervorgegangen sein. Der Groß-Schwülperaner Nils Wogram ist mittlerweile einer der bekanntesten Jazzposaunisten weltweit. Ihm hat Wolters die wichtigsten Akkorde, die Voicings, vermittelt. Wogram resumiert: „Musiker wie Otto Wolters sind Gold wert für die Szene. Er konnte wirklich vermitteln, wie Jazz gespielt werden muss und was es bedeutet, Jazzmusiker zu sein, für den Jazz zu leben. Dieses Gefühl hat mich beflügelt und mir geholfen, meinen Weg einzuschlagen!“

Kann man Besseres von Schülerinnen und Schülern hören? Wohl kaum. Man möchte zurufen: „Otto, weg mit den dunklen Seiten der Melancholie. Auch wenn eine schwere Erkrankung dich plötzlich aus der Bahn warf: Lass dich feiern, du hast allen Grund dazu!“

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Am 24.November 2018 20 Uhr werden Braunschweiger Jazzmusikerinnen und -musiker ein Otto-Wolters-Jubilee-Concert im Roten Saal des Schlosses spielen.

Fotos und Ankündigungstexte (K. Gohlke)

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Tonverein Babelka

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Männerversteher

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Frank, der Tonmeister

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12 Bars

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Grey Bones

Eine Frau mit Stil

Veröffentlicht: 23. August 2018 in Allgemein

20180822_201550Esther Ofarim eröffnet das 20. Braunschweiger Festival „Kultur im Zelt“              Text und Fotos: Klaus Gohlke

Wie sie da so am Mikrofon steht, die Esther Ofarim! Zerbrechlich-zart, lange schwarze Robe, kupferrotes Haar – als sei sie einem Bild des Expressionisten Egon Schiele entsprungen. Knappe Gesten nur, kaum eine Ansage, kurze Dankesblicke für ihre vier Begleitmusiker, freundliche Entgegennahme des Beifalls. Klare Botschaft: „Achtet auf die Musik, nicht auf mich!“ Und wenn sie dann den Mund aufmacht, nun, die Stimme ist nicht mehr so glockenhell wie einst, aber immer noch erstaunlich wandlungsfähig und präzise selbst in hohen Lagen. Musizieren mit Willen und nach ihrer Vorstellung. Esther Ofarim ist 77 Jahre alt.

Warum tut sie sich das noch an? Sie, von der man sagt, dass sie immer noch unter Lampenfieber litte, sehr zurückgezogen, nahezu bescheiden lebe, Anti-Star sei. Einen erneuten Auftritt zum 20.Jubiläum des Braunschweiger Festivals „Kultur im Zelt“, der letzte liegt immerhin elf Jahre zurück.

Festival-„Chefin“ Beate Wiedemann legt das Veranstalterinteresse dar. „Wir suchten ein Premierenkonzert, das ans Herz geht. Und nach Esthers Konzert damals waren alle so angerührt. Eine Dame fiel mir spontan mit Tränen in den Augen um den Hals. Daran erinnerten wir uns und schon war alles klar.“

Esther Ofarim sagte zu und tat sich offenbar nichts dabei an. Sie verspüre, so sagte sie in einem Interview, ein Gefühl des Leichtwerdens beim Singen, im Kontakt mit dem Publikum. Dass das harte Arbeit ist, hohe Konzentration – das merkt man ihr bei ihrem Gang durch musikalische Genres nicht an.

Sie will sich als Sängerin mit breiter Palette präsentieren. Große Songs, große Namen. Leonard Cohen, die Beatles, Brecht/Weill, Broadway-Songs, Irisch-englische und hebräische Folklore. Und weil die Original-Musik so bekannt ist, interessiert natürlich ihr Zugriff. Klar, es gibt Interpretationen, die nicht viel Neues bieten. McCartneys „Yesterday“, Arlens „Over the Rainbow“, Cohens „Hallelujah“ etwa. Gut gecovert, fertig. Aber es gibt durchaus interessante Herangehensweisen. Der Beatles-Klassiker “She’s leaving home” wird heftig dramatisiert. Wo Leonhard Cohen in „Bird on the wire“ versucht, die musikalische Schlichtheit nicht mit Sentiment zu verkitschen, versucht die Ofarim gerade den emotionalen Kern herauszustellen. Auch ohne Kitsch. Anrührende Zartheit durch Reduktion auf Piano und Stimme bei „Mad about the boy“, das wohl den meisten durch Dinah Washington bekannt geworden ist. Weniger überzeugend bleiben die Brecht/Weil-Klassiker „Surabayah Johnny“ und „Alabama-Song“. Das einfühlende Leiden steht zu sehr im Zentrum des Bemühens, weniger die konterkarierenden Hass- und Wutgefühle, eine gewisse fiese Schärfe.

Die Band erweist sich bei all diesen unterschiedlichen Anforderungen als eine Art musikalische Lebensversicherung. Die Ofarim erweist den vier Männern die Ehre, indem sie sie drei Titel allein spielen lässt. Das hat Stil.

Zum Schluss dann, dramaturgisch geschickt, ihr Welthit aus früheren Zeiten „In the Morning“, später noch „Cinderella Rockefella“. Ein guter Ausklang. Keine Tränen, wenig Rührung, aber großer Respekt im moderat gefüllten Zelt.

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Ich muss hier raus!

Veröffentlicht: 5. August 2018 in Allgemein

20180804_222804Max Giesinger wird seiner Rolle als Topact der NDR-Open-Airs in Wolfenbüttel gerecht                                                                                  Text und Fotos Klaus Gohlke

„Licht aus! Spot an!“ So ungefähr. Die Beats der Bassdrum direkt gekoppelt mit den Flashlights der Bühnenbeleuchtung. Ein lang dahinschwebendes keyboardlastiges Intro und auf geht’s mit Max Giesinger beim Stars@ndr2-Open-Air in Wolfenbüttel. Headliner ist er des langen heißen Tages Reise in die Nacht. „Roulette“ ist der Opener, aber kein Glücksspiel mit dem Publikum. Er will ran an die Leute. 20000 seien es, meint Moderator Christopher Scheffelmeier. Ist wie bei Demos: die Veranstalter rechnen gern nach oben.

20180804_190344Ran an die Leute, das heißt runter von der Bühne. Händeschütteln, Abklatschen, Lächeln, Singen. Er wirkt fit, ist gut gebräunt im weißen Tank Top. Wieselt durch die Menge wieder hoch auf die Bühne. Das Publikum schnell auf seine Seite ziehen, bedeutet auch, seine Hits nicht zu spät zu platzieren. „Legenden“ vom neuen Album also schon früh gespielt. Das kommt gut.

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Der Song hat ja auch das, was ein guter Pop-Song haben muss. Hooklines eben. Etwas, was sich festhakt. Ein guter Refrain und eine einprägsame Melodie. Gilt natürlich auch für Giesingers „Wenn sie tanzt“ und die elend ausgedehnte Zugabe „80 Millionen“. Das muss nicht sinnvoll sein oder anspruchsvoll, wie Jan Böhmermann ja schon hinreichend zeigte. Es muss aber Gefühle treffen: Alltagsgefühle, jedermanns Gefühle, Alltagsthemen. Wovon Böhmermann nicht spricht.

Dass einen das alltägliche Einerlei, das Immergleiche, das graue Grausen, anödet, wer verspürt’s nicht? Giesinger spricht’s aus, singt’s raus in „Legenden“. Musikalisch sehr clever gemacht die doppelte Steigerung hin zum Refrain, dessen Anfangszeile dann sitzt. „Wenn die Erde sich zu langsam dreht, dann laufen wir so schnell es geht…!“ Nachts im Bett wachwerden und „Wenn die Erde sich zu langsam dreht…“ im Kopf haben. Manche haben Tränen in den Augen, andere küssen sich. Geteilte Gefühle offenbar.

20180804_211033Diesen ganzen Stuss, den der Max da singt von der Flucht im Flugzeug, endlosen Straßen, namenlos sein – vergiss es. Natürlich muss man erst einmal Geld haben, ein Flugzeug finden, dann muss man durch Kontrollen, auschecken, Hotel finden, es gibt gar keine endlosen Straßen und was sind denn „Legenden für einen Augenblick“? Alles realitätsfern – nur darum geht es gar nicht. Es geht um gemeinsame Gefühle für einen Moment, in diesem Moment im S20180804_214909ommer in Wolfenbüttel.

Und Max Giesinger gibt dem Affen Zucker. Er hat die Entertainerrolle angenommen. Etwas geschwätzig mitunter, und die Mitsingübungen ermüden eher. Ob Giesinger und die anderen deutschen Pop-Poeten der „Hot Rotation“ das Potential haben, sich zu etablieren, darf man mit Recht bezweifeln. Es interessiert das Publikum auch nicht, stehen doch andere schon in den Startlöchern, die Sehn-Süchte zu befriedigen. Wie es offenbar auch nicht so sehr interessiert, dass es andere Musik gibt, die einen weniger frustriert wieder in den Alltag zurück kehren lässt.