Zwiebeljazz – ein würziger Ohrenschmaus

Veröffentlicht: 31. Juli 2020 in Allgemein

Red Onions

 Die Braunschweiger Red Onion Jazz Company blickt mit einer Dokumentation auf mehr als 50 Jahre Bandgeschichte zurück 

Text: Klaus Gohlke       Fotos: Dr. Klaus Peter „Knatze“ Ulbrich

 „Früher kam die Musik noch zu uns. Jetzt müssen wir ihr nachlaufen!“, seufzt Knatze. Früher – das sind nicht die Frühjahrs-Vor-Corona-Zeiten. Nein, früher, das sind die 1970er, 80er, 90er Jahre. Und Knatze ist nicht etwa ein sentimentaler Alt-Rocker oder so etwas. Nein, dahinter verbirgt sich Dr. Klaus Peter Ulbrich, seines Zeichens Drummer der „Red Onion Jazz Company“ und so etwas wie deren Organisationszentrale. „Früher konntest du dich vor Auftrittsangeboten nicht retten. Aber dann wurde das Interesse an unserer Musik immer weniger.“

Tja, man kann es nicht leugnen. Wer fährt heute schon noch ab auf Oldtime-Jazz, denn das ist die Musik, die die „Red Onions“ spielen.  Echte alte New Orleans Besetzung. Drei Bläser, vier Rhythmiker. Wie bei den berühmten Vorbildern und Namenspatronen, die Red Onion Jazz Babies mit Louis Armstrong an der Trompete. Übrigens: Rote Zwiebeln – der Name hat  einen Regionalbezug. „Zwiebeln, Braunschweiger dunkelblutrote, mit Keimgewähr“, so steht es auf den Saatgutbeuteln.

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Jetzt aber spricht Knatze von der Band als „Braunschweiger Alt-Last“. Im übertragenen Sinne natürlich. Seit 52 Jahren gibt es die Truppe. Natürlich in immer mal wieder wechselnder Besetzung. Nur der Bläser Alfred Tischel ist aus der Urformation noch dabei. Knatze allerdings „zwiebelt“ auch schon seit 50 Jahren die Felle.

Von Früher zu schwärmen – eine Alterserscheinung? Mag sein, aber gut fünfzig Jahre eine Band am Laufen zu halten, ist wohl Stolz und Rückblick wert.  TradJazz war mal schwer in. Das kann sich weder die lockige Unschuld noch der kahle Scheitel vorstellen, dass diese Musik mal Top-Ten tauglich war. Wochenlang blockte beispielsweise der Jazzklarinettist Acker Bilk die Charts. Millionenseller von Chris Barber, Papa Bue. Überall wurden Bands gegründet, die diesen Gute-Laune-Jazz mit Verve zelebrierten.

Klar, die ProgJazzer blickten auf diese Mucker Seite9herunter, sprachen von „Mäuse- oder Mickey Maus-Jazz“, wie Ulbrich zu berichten weiß. Aber – die Braunschweiger Jazz Company war durchaus angesagt.  Alle Jazzclubs der Stadt und der Region wurden an den Wochenenden bespielt, und derer gab es in den 70er, 80er Jahren nicht wenige.  Man wurde – ein Zeichen hoher Wertschätzung – mehrfach zum Internationalen Dixieland-Festival nach Dresden eingeladen, spielte beim schwedischen Hällevik-Festival. Gerhard Schröder wurde auf der Kanzler-Tour begleitet, wie auch die Lesereise der Braunschweiger Zeitung nach New Orleans inklusive Live-Acts dort. In der Partnerstadt Bath bereicherte man das Kulturprogramm. Man engagierte sich sozial mit Benefizkonzerten,  absolvierte Rundfunk- und Fernsehauftritte und spielte  folgerichtig auch Schallplatten und CD’s ein, fünf insgesamt über die Jahre.

Um Zuhörer zu gewinnen, erweiterte man das Repertoire mit Songs der 1920er-40er Jahre. „Deutlich vor Max Raabe spielten wir „Herr Ober, zwei Mocca“ oder „Ich lass mir meinen Körper schwarz bepinseln“, merkt Knatze Ulbrich hörbar stolz an.  Aber immer klarer musste die Band feststellen, dass sie von der Bühne auf „Baumwollfelder“ vor sich blickte. Band und Publikum alterten; die Engagements gingen spürbar zurück. Krankheit und Tod belasten, es hilft kein Drumherum-reden. Da muss Covid 19 dann doppelt schmerzen.  Man hat ja keine Zeit mehr zu verschenken in dem Alter. „Nicht einen Ton haben wir in diesem Jahr gespielt, es gibt auch kaum konkrete Pläne!“, merkt Ulbrich bitter an.

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„Umso wichtiger schien es mir und der Band, diese mehr als fünfzig Jahre Leben für den traditionellen Jazz und diese Stadt nicht einfach so ausklingen zu lassen, sondern alles in ansprechender Form zu dokumentieren.“ Und so hat „Knatze“ Ulbrich auf 112 Seiten mustergültig alles zur Geschichte der Band zusammengestellt, ansprechend gestaltet von „Hinz & Kunst, Braunschweig“. Kurze prägnante Texte, jede Menge Fotos, das Repertoire, Covers, eine Fülle von Plakatrepros – ein Stück Braunschweiger Kulturgeschichte mithin, das zu studieren auch für Nicht-Jazzer von Interesse sein dürfte.

Dr. Klaus Peter „Knatze“ Ulbrich: Red Onion Jazz Company 1967-2019. Erhältlich über die Buchhandlung Graff, Braunschweig, 15 Euro.

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