Zwischen Lust, Frust und Alb

Veröffentlicht: 19. März 2020 in Allgemein

Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker der Region angesichts Covid 19

Text/Fotos: Klaus Gohlke

Jazzer gelten als die Kirchenmäuse unter den Musikern. Nicht, weil sie so possierlich spielten. Nein, es reicht hinten und vorne nicht, was sie da einspielen. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Deshalb haben sie zu den normalen zwei Beinen eines Menschen noch mindestens zwei andere, nämlich berufliche Beine. Das Jazz-Spielbein und das alltagsabsichernde Standbein. Bislang schaukelte man die Sache irgendwie so hin, dass man über die Runden kam. Ein Schleuderkurs, mal Lust, mal Frust. Nun aber- in Corona-Zeiten – könnte ziemlich Schluss mit lustig werden.

20200301_184606Da ist Britta Rex, weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte freiberufliche Sängerin mit mindestens vier Projekten. „Was Corona konkret für mich bedeutet? Der Gesangskurs in Italien wurde abgesagt. Ein Grundschulprojekt in der nächsten Woche. Wie es mit meinem Lehrauftrag an der Musikhochschule in Hannover weitergeht, weiß ich nicht. Ich habe einen Honorarvertrag, keine Festanstellung. Das sind dann Totalausfälle. Gesichert ist die Arbeit an der Musikschule Salzgitter. Der Brotjob gewissermaßen. Alles andere – völlig unklar.“ Da es nicht Konzertangebote regnet, wird die Einnahmesituation also äußerst unübersichtlich. Was nun tun?  Gut, sie hätte Zeit über ihr neues CD-Projekt nachzudenken. Aber, das koste auch Geld. Und: Not mach erfinderisch. Man könne Web-Seminare abhalten, zoomen. Man könnte über Streaming-Portale Konzerte anbieten. Etwas steril, so ohne Publikum. Vor allem aber: Wie soll das Geld abwerfen? So etwas wie ein „Spielen für den Hut“ auf elektronischer Basis? Völlig ungeklärt. Offizielle Streaming-Portale kann man eh abhaken. Das läuft nur für „big names“ profitabel.

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Und da ist Heinrich Römisch, der Mann der tiefen Töne.  Viel unterwegs in Sachen Jazz. Breit aufgestellt mit Swingmusik, freier Improvisation, Loungejazz, Modern, Sessions, Auftragsbeschallung bei Feiern und Veranstaltungen. Römisch ist frustriert. „Ziemlich düster das alles. Ein  gutes Honorar bei der Braunschweiger VHS ist weg. Konzerte in der Bassgeige, dem Kulttheater, bei Steigenberger, BS-Energy, das Hamburger Hafenfest, ein Workshop in Thüringen:  Alles ersatzlos gestrichen oder auf der Kippe. Gerade die nicht-öffentlichen Engagements bei Firmenfeiern und Privatem brechen weg, weil dort auch Unsicherheiten bestehen. Was soll ich denn stärker fürchten: die Ansteckungsgefahr oder den finanziellen Absturz?“ Auch Römisch hat ein zweites Standbein. Freiberuflicher Illustrator und Graphiker. Was in Zeiten verbreiteter Unsicherheit ebenfalls zu einem Vabanque-Spiel wird. „Was dann bleibt, sind die eigentlich für später gedachten Ersparnisse!“

20190725_174844Freilich – nicht alle Jazzmusiker der Region sind derart eingebunden in den Jazzkontext. Elmar Vibrans, Tastenexperte, hat auch mindestens sechs Projekte unterschiedlicher Couleur am Laufen. „Derzeit liegt aber nicht viel an“, sagt er im Gespräch. Er lebt vom Unterrichten und das laufe jetzt weitgehend auf der digitalen Ebene ab. „Also skypen, Noten online versenden, mailen, MP3s schicken. Man muss improvisieren.“

Auch Braunschweigs Schlagzeug-Allrounder Eddie Filipp gibt sich noch zwei bis drei Monate, die er überwintern bzw. „überviren“ kann. Sein Sorgenblick geht eher in Richtung der freiberuflichen Musical- und Orchesterplayer. „Die stehen ja voll auf dem Schlauch!“

20180609_173929Das gilt aber auch für Braunschweigs bedeutendsten Jazzer, dem in der Schweiz lebenden Posaunisten Nils Wogram. Sein Konzert im Roten Saal für kommenden Sonntag ist gestrichen. Ein Telefonat mit seinem Promoter verläuft zäh ob der niederschmetternden Fakten. „Diese aktuelle Tour musste abgesagt werden, weil seine beide amerikanischen Bandmitglieder Einreiseprobleme bekommen hätten. Mittlerweile sind aber alle Konzerttermine gestrichen, weil ja Aus- und Einreisesperren gelten. Das sind hohe Verluste, die für jemanden, dessen Job die Musik ist, schwer kompensierbar sind!“

Die Beispiele mögen genügen. Die „Kirchenmaus-Situation“ spitzt sich zu. Wohl jenen, die feste Verträge etwa bei der Städtischen Musikschule haben. Gibt es Hoffnungen? Zuschüsse seitens der Stadt, des Landes, des Bundes? Man vergesse nicht, dass Jazz nur eine Randnische besetzt. Im Netz finden sich Spendenaufrufe, Forderungen nach einem halbjährigen Bürgergehalt, Petitionen. Gut gemeint, aber wenig aussichtsreich. Für viele bleibt nur die Hoffnung, dass es nicht zu lange dauern möge mit dem Virus und sich dann irgendwie richte.

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