Drei Tage Neue Musik werden mit „Kompositionen auf Weiß“ virtuos eröffnet
Text und Fotos: Klaus Gohlke
Die Stimme der Sängerin, sie gurrt, krächzt, flötet, haucht, kreischt, tiriliert, pfeift, schluchzt, spricht, springt in großen Intervallen oder verschiebt sich minimal.. Das Saxophon nimmt das auf, geht dazwischen, umgarnt, schmeichelt, schreit roh dazwischen, spielt im „tiefsten Keller“ und unmittelbar darauf gemein hoch. Das Piano legt rhythmische Fundamente, hebt sie alsbald wieder auf, schafft einen Klangteppich, um ihn wieder zu zerstören, mal Kontrast, mal Umschreibung zu den anderen Stimmen.
Happening? Chaotische Zufälligkeit? Mitnichten. Nur eine sprachliche – zugegeben unzulängliche – Darstellung eines Momentes des Eröffnungskonzertes „Kompositionen auf Weiß“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Drei Tage Neue Musik“.
Wobei – der Zufall spielt bei dieser Art der Kompositionen schon eine Rolle. Eventuell schon im Titel. Denn: Warum „Kompositionen auf Weiß“? Hätte durchaus auch Schwarz sein können. Oder? Und Komposition – auch irritierend. „Komposition“, so der künstlerische Leiter der Veranstaltungsreihe, Dr. Vlady Bystrov, „ist hier nicht im traditionellen Sinn zu verstehen! Also als notierte Festlegung.“ Nein, es geht dem Trio Anne-Liis Poll (Gesang), Anto Pett (Piano) – beide aus Estland angereist – und Vlady Bystrov (Holzblasinstrumente) um freie Improvisationen. Das sei nicht Zufallskram, vielmehr „die höchste Stufe des Musizierens und Komponierens überhaupt!“, so Bystrov in seinem Einführungsvortrag. Komposition und musikalische Praxis seien eins, sogenannte „Echtzeit-Kompositionen“.
Und in der Tat spielte hier nicht jeder irgendetwas vor sich hin, wie man sich mitunter „Freien Jazz“ vorstellt. Hier interagierten drei Musiker auf höchstem technischem Niveau absolut strukturiert. Jedes Konzert ein Unikat, nicht reproduzierbar. Musikalischen Impulsen, die ohne Festlegung eingebracht wurden, konnte auf den Ebenen der Rhythmik, Dynamik, Harmonik und Melodik, Instrumentierung, Tonalität, des Sounds,
des Tempos begegnet werden. Ein hochkomplexer Austausch, der große Virtuosität und Souveränität voraussetzt. Musik ohne Krücken.
Den Freunden der Neuen Musik, an die 40 waren zum Eröffnungskonzert am Freitagabend in der Dornse erschienen, wird dabei eine aktive, aber nicht einfache Rolle eröffnet. Nämlich die Aufführungsideen zu dechiffrieren, was aber bei der Flüchtigkeit des Mediums wohl
eher nur punktuell gelingt. Man kann sich aber genauso gut einfach den Bildern, die sich beim Zuhören einstellen, hingeben. Auch hier gilt Regelfreiheit.
So abstrakt und klanglich verwunderlich diese Musik sich anhört, so begeisternd kann es auch sein, die Einfälle der Musiker, ihre sensible Art des Aufeinander-Reagierens, zu verfolgen. Aber allein zu hören, was Anne-Liis Poll mit ihrer Stimme zu leisten vermochte, war faszinierend und unbeschreiblich. „I’m a human bird!“, meinte sie schlicht. Ein menschlicher Vogel.
Die „Drei Tage Neue Musik“ des Vereins „Freunde Neuer Musik“ in Kooperation mit dem Louis Spohr Musikzentrum waren dem Bauhaus-Jubiläum gewidmet. Ob das Eröffnungskonzert mit Bauhaus-Ideen zu tun hatte, sei dahin gestellt. Über jeden Zweifel erhaben aber war die Begeisterung aller Anwesenden über diese Konzert- Eröffnung.