Vor seinem Auftritt im Schloss spricht der Schlagzeuger Jochen Rückert über sein Leben als Jazzer in New York. 15.11.2018 Klaus Gohlke
Wer es hier schafft, schafft es überall, singt Frank Sinatra. Der Platz zum Durchstarten. Jazzmusiker glauben immer noch daran. Wer etwas auf sich hält, geht mindestens einmal für ein Weilchen in die Welthauptstadt des Jazz. Und wer dort den Ritterschlag erhalten hat, wer mit möglichst mehreren der Großjazzer der Stadt gespielt hat, lässt das gern werbewirksam durchblicken.
Manche gehen allerdings noch einen Schritt weiter. Sie verlassen ihr Heimatland und bleiben dort. So zum Beispiel der Kölner Jazz-Schlagzeuger Jochen Rückert (43), einer der Herausragenden seiner Zunft. Rückert spielt mit seinem Quartett am Freitag in Braunschweig. Er ist amerikanischer Staatsbürger mittlerweile.
Befragt nach den Gründen, Deutschland zu verlassen und dort zu bleiben, nimmt er kein Blatt vor den Mund. „Als ich um die 19 Jahre alt war, brachte mir Deutschland musikalisch gesehen nichts mehr. Ich wollte richtigen Jazz spielen und internationaler unterwegs sein. Ich wollte Anregungen von vielen Leuten erhalten, nicht nur von wenigen. Du triffst – und das gilt immer noch – in New York viel mehr sehr unterschiedliche Musiker aus aller Herren Länder. Der Treffpunkt schlechthin!“
Nun, das war vor vielen Jahren. Mittlerweile hat die Globalisierung auch den Jazz erfasst. Hat New York jetzt nicht sein Alleinstellungsmerkmal verloren? Rückert sieht zwar keinen grundsätzlichen Wandel, räumt aber durchaus Veränderungen ein. „Das traditionelle Jazzspiel ist in Deutschland besser geworden. Auch wird der europäische Jazz immer interessanter. Aber du triffst in New York nicht doppelt so viele, sondern 50mal so viele gleichgesinnte Musiker. Und du kannst in den kleinen Clubs und bei Sessions unheimlich viel lernen und Anregungen bekommen. Und zwar täglich. Niveau und Dichte machen die Stadt aus. .“
Aber eine derartige Dichte guter Musiker bedeutet ja doch auch, dass man sehen muss, wie man an Jobs kommt. Der Club-Betrieb lahmt auch in New York. Kommen die Musiker aus den Staaten nicht deshalb so gern nach Europa und eben Deutschland, ja, ziehen von dort hierher, weil hier die Auftrittsbedingungen sehr attraktiv sind? Gute Gagen, gute Rahmenbedingungen, aufmerksames Publikum?
Rückert räumt ein, dass es schwierig ist, als Berufsmusiker auszukommen. Auch in New York. „Ich kann mich aber nicht beschweren. Ich verdiene genug Geld, ich arbeite allerdings auch wie bescheuert. Nicht nur als Musiker, auch als Lehrer, Booking Agent, Reisebüro für Musiker, Gitarristen-Kindermädchen. Ich publiziere Schlagzeug-Unterrichtsmaterial. Es ist leider auch so, dass das Wohnen schwierig geworden ist. Brooklyn ist so teuer mittlerweile, dass alle entweder weiter raus oder nach Queens, Washington Heights oder in die Bronx ziehen müssen.“
Also, doch vielleicht mal wieder mit Deutschland als Lebenszentrum liebäugeln? „Fuck no!“, kommt es spontan. Und dann erläuternd: „Ich bin verheiratet, hab einen Sohn, eine Wohnung, fühle mich zuhause. Meine Frau spricht nicht deutsch. Außerdem: Ich mache Touren durch Europa, wie jetzt gerade, auch arbeite ich fürs Goethe-Institut. Also guter Draht nach Europa. Ansonsten gibt es hier in New York viele musikalische Immigranten mit einem starken Gemeinschaftsgefühl.“
Jochen Rückert hat wichtigere Sorgen als eine Rückkehr nach Deutschland. „In der Musik finde ich eine spirituelle Befriedigung. Ist aber kompliziert. Jazz war mal gleichbedeutend mit Grenzüberschreitung. Aber es gibt immer weniger Grenzen. Alle sind schon überquert. Mir fallen jedenfalls im Moment keine unüberschrittenen Grenzen ein. Das ist aber kein Drama. Wenn du ein Publikum mit offenen Ohren hast, entsteht ein wunderbarer Energiefluss.“