Esther Ofarim eröffnet das 20. Braunschweiger Festival „Kultur im Zelt“ Text und Fotos: Klaus Gohlke
Wie sie da so am Mikrofon steht, die Esther Ofarim! Zerbrechlich-zart, lange schwarze Robe, kupferrotes Haar – als sei sie einem Bild des Expressionisten Egon Schiele entsprungen. Knappe Gesten nur, kaum eine Ansage, kurze Dankesblicke für ihre vier Begleitmusiker, freundliche Entgegennahme des Beifalls. Klare Botschaft: „Achtet auf die Musik, nicht auf mich!“ Und wenn sie dann den Mund aufmacht, nun, die Stimme ist nicht mehr so glockenhell wie einst, aber immer noch erstaunlich wandlungsfähig und präzise selbst in hohen Lagen. Musizieren mit Willen und nach ihrer Vorstellung. Esther Ofarim ist 77 Jahre alt.
Warum tut sie sich das noch an? Sie, von der man sagt, dass sie immer noch unter Lampenfieber litte, sehr zurückgezogen, nahezu bescheiden lebe, Anti-Star sei. Einen erneuten Auftritt zum 20.Jubiläum des Braunschweiger Festivals „Kultur im Zelt“, der letzte liegt immerhin elf Jahre zurück.
Festival-„Chefin“ Beate Wiedemann legt das Veranstalterinteresse dar. „Wir suchten ein Premierenkonzert, das ans Herz geht. Und nach Esthers Konzert damals waren alle so angerührt. Eine Dame fiel mir spontan mit Tränen in den Augen um den Hals. Daran erinnerten wir uns und schon war alles klar.“
Esther Ofarim sagte zu und tat sich offenbar nichts dabei an. Sie verspüre, so sagte sie in einem Interview, ein Gefühl des Leichtwerdens beim Singen, im Kontakt mit dem Publikum. Dass das harte Arbeit ist, hohe Konzentration – das merkt man ihr bei ihrem Gang durch musikalische Genres nicht an.
Sie will sich als Sängerin mit breiter Palette präsentieren. Große Songs, große Namen. Leonard Cohen, die Beatles, Brecht/Weill, Broadway-Songs, Irisch-englische und hebräische Folklore. Und weil die Original-Musik so bekannt ist, interessiert natürlich ihr Zugriff. Klar, es gibt Interpretationen, die nicht viel Neues bieten. McCartneys „Yesterday“, Arlens „Over the Rainbow“, Cohens „Hallelujah“ etwa. Gut gecovert, fertig. Aber es gibt durchaus interessante Herangehensweisen. Der Beatles-Klassiker “She’s leaving home” wird heftig dramatisiert. Wo Leonhard Cohen in „Bird on the wire“ versucht, die musikalische Schlichtheit nicht mit Sentiment zu verkitschen, versucht die Ofarim gerade den emotionalen Kern herauszustellen. Auch ohne Kitsch. Anrührende Zartheit durch Reduktion auf Piano und Stimme bei „Mad about the boy“, das wohl den meisten durch Dinah Washington bekannt geworden ist. Weniger überzeugend bleiben die Brecht/Weil-Klassiker „Surabayah Johnny“ und „Alabama-Song“. Das einfühlende Leiden steht zu sehr im Zentrum des Bemühens, weniger die konterkarierenden Hass- und Wutgefühle, eine gewisse fiese Schärfe.
Die Band erweist sich bei all diesen unterschiedlichen Anforderungen als eine Art musikalische Lebensversicherung. Die Ofarim erweist den vier Männern die Ehre, indem sie sie drei Titel allein spielen lässt. Das hat Stil.
Zum Schluss dann, dramaturgisch geschickt, ihr Welthit aus früheren Zeiten „In the Morning“, später noch „Cinderella Rockefella“. Ein guter Ausklang. Keine Tränen, wenig Rührung, aber großer Respekt im moderat gefüllten Zelt.