Max Giesinger wird seiner Rolle als Topact der NDR-Open-Airs in Wolfenbüttel gerecht Text und Fotos Klaus Gohlke
„Licht aus! Spot an!“ So ungefähr. Die Beats der Bassdrum direkt gekoppelt mit den Flashlights der Bühnenbeleuchtung. Ein lang dahinschwebendes keyboardlastiges Intro und auf geht’s mit Max Giesinger beim Stars@ndr2-Open-Air in Wolfenbüttel. Headliner ist er des langen heißen Tages Reise in die Nacht. „Roulette“ ist der Opener, aber kein Glücksspiel mit dem Publikum. Er will ran an die Leute. 20000 seien es, meint Moderator Christopher Scheffelmeier. Ist wie bei Demos: die Veranstalter rechnen gern nach oben.
Ran an die Leute, das heißt runter von der Bühne. Händeschütteln, Abklatschen, Lächeln, Singen. Er wirkt fit, ist gut gebräunt im weißen Tank Top. Wieselt durch die Menge wieder hoch auf die Bühne. Das Publikum schnell auf seine Seite ziehen, bedeutet auch, seine Hits nicht zu spät zu platzieren. „Legenden“ vom neuen Album also schon früh gespielt. Das kommt gut.
Der Song hat ja auch das, was ein guter Pop-Song haben muss. Hooklines eben. Etwas, was sich festhakt. Ein guter Refrain und eine einprägsame Melodie. Gilt natürlich auch für Giesingers „Wenn sie tanzt“ und die elend ausgedehnte Zugabe „80 Millionen“. Das muss nicht sinnvoll sein oder anspruchsvoll, wie Jan Böhmermann ja schon hinreichend zeigte. Es muss aber Gefühle treffen: Alltagsgefühle, jedermanns Gefühle, Alltagsthemen. Wovon Böhmermann nicht spricht.
Dass einen das alltägliche Einerlei, das Immergleiche, das graue Grausen, anödet, wer verspürt’s nicht? Giesinger spricht’s aus, singt’s raus in „Legenden“. Musikalisch sehr clever gemacht die doppelte Steigerung hin zum Refrain, dessen Anfangszeile dann sitzt. „Wenn die Erde sich zu langsam dreht, dann laufen wir so schnell es geht…!“ Nachts im Bett wachwerden und „Wenn die Erde sich zu langsam dreht…“ im Kopf haben. Manche haben Tränen in den Augen, andere küssen sich. Geteilte Gefühle offenbar.
Diesen ganzen Stuss, den der Max da singt von der Flucht im Flugzeug, endlosen Straßen, namenlos sein – vergiss es. Natürlich muss man erst einmal Geld haben, ein Flugzeug finden, dann muss man durch Kontrollen, auschecken, Hotel finden, es gibt gar keine endlosen Straßen und was sind denn „Legenden für einen Augenblick“? Alles realitätsfern – nur darum geht es gar nicht. Es geht um gemeinsame Gefühle für einen Moment, in diesem Moment im S
ommer in Wolfenbüttel.
Und Max Giesinger gibt dem Affen Zucker. Er hat die Entertainerrolle angenommen. Etwas geschwätzig mitunter, und die Mitsingübungen ermüden eher. Ob Giesinger und die anderen deutschen Pop-Poeten der „Hot Rotation“ das Potential haben, sich zu etablieren, darf man mit Recht bezweifeln. Es interessiert das Publikum auch nicht, stehen doch andere schon in den Startlöchern, die Sehn-Süchte zu befriedigen. Wie es offenbar auch nicht so sehr interessiert, dass es andere Musik gibt, die einen weniger frustriert wieder in den Alltag zurück kehren lässt.