Das 3. Indie- und Electronic FESTIV in der Braunschweiger Kunstmühle leidet unverdienterweise unter schwachem Besuch
„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“ Das war so eine schöne friedensbewegte Redensart. Was aber, wenn man sagt: „Stell dir vor, es ist ein Festival und keiner geht hin!“ Tödlich für ein Festival oder? Nun könnte man sich das ja wünschen, wenn es ein schlechtes wäre. Aber das 3. Indie & Electronic FESTIV zu in der Kunstmühle am Samstagabend? Warum sollte man ihm das wünschen?
Natürlich sind die Vorankündigungen ein wenig größenwahnsinnig, wenn man „Vielfalt und Entwicklung der beiden Stilrichtungen“ aufzeigen will. Man kann höchstens einen kleinen Ausschnitt aufzeigen, der im besten Fall exemplarisch ist. Das Feld ist einfach zu weit, um mal geflügelt zu reden.
Aber – ist das ein Grund, das FESTIV zu meiden? Unfug. Waren es zu viele andere Veranstaltungen am Samstagabend? Möglich. Dann aber stellt sich die Frage, wie in der Stadt Braunschweig Veranstaltungen koordiniert werden, bzw.: Lässt sich so etwas in so einer Stadt wie dieser im Vorfeld vermeiden?
Die Verzweiflung stand den Veranstaltern ins Gesicht geschrieben. Und – als sei das nicht genug – begann in unmittelbarer Nachbarschaft eine Rockband deftig aufzuspielen. Damit war die Choreografie des Abends, nämlich mit einem Konzert außerhalb der Kunstmühle zu starten, schwer beeinträchtigt.
Flugs änderte man den Ablauf und startete mit dem Projekt „n.e.s.t.“ der Hannoveraner „Electronicer“ Sebastian Neubauer und Gunther Gräfe. In einer gewissermaßen fünfteiligen Suite führte Neubauer an den Laptops und elektronischen Steuerungsmodulen durch eine sehr tieftönige Soundwelt. „Die Klänge sollen auch physisch erlebbar sein, deshalb die Tieftöne“, erläuterte Neubauer im Gespräch. Orchestrale Synthieklänge wurden durchbrochen von sehr verschiedenartigen Geräusch-Samples und über einem zugrundeliegenden Grundbeat wurde polyrhythmisch variiert. Ob nicht ein jäher Einbruch in den Elektrofluss, eine Verstörung nötig wäre? Neubauer weist das zurück. „Innerhalb des tieftönigen Gesamtsounds sind so viele Differenzierungen eingebaut, dass das abwechslungsreich genug ist!“
Das konnte man vom „Prypjat Syndrome“, dem aktuellen Projekt des Magdeburger Cello-Klangkünstler Matthias Marggraff, aber nicht sagen. Sein Konzept, Melodiefragmente über Loops variierend aufzuschichten, hatte zunächst durch den Wohlklang etwas Berückendes. Je länger die Performance aber dauerte, umso durchscheinender und vorhersagbarer wurde das Ganze.
Melodiefragmente, rhythmische Variationen durch Bearbeitung des Cello-Korpus oder der Saiten mittels Drum-Sticks, wiederum rhythmische Überlagerung durch die Stimme, Pizzicato- oder Coll’Arco-Spiel, harmonische Umspielungen – all das kurz angespielt, gespeichert, am Controller leicht verfremdet, mit Hall- und Echoeffekten unterlegt – das war nett. Eine Demonstration dessen, was technisch in einer One-Man-Show möglich ist. Aber musikalisch wenig überraschend. Warum keine Aufsprengung der Harmonien, Zerstörung der Melodiebruchstücke, Durchbrechung der Tonalität? Die Anwesenden haben doch ein Recht auf Herausforderung!
Zum Abschluss dann das Braunschweiger KRÜGERGLANTZQUARTETT, das in einer audiovisuellen Performance ansatzweise auch die Indie-Sparte mit reduziertem Hip-Hop zu ihrem Recht kommen ließen. Es hatte durchaus Witz, wie sie vor ihrem vorfabrizierten Double auf einer Videoleinwand ihr aktuelles Album „Alles in Bestform“ präsentierten. Das war musikalisch abwechslungsreich, wobei der Ton mehr in den Vordergrund hätte gemixt werden müssen. Die Texte sollen ja auch verstanden werden!
„Schon Scheiße“ – so ein Titel daraus. Ja, durchaus. Das FESTIV hätte, bei aller Kritik, viel mehr Zuspruch verdient. Deshalb sei den Veranstaltern die alte Bruce-Ansage zugerufen: „No retreat, no surrender!“
Text und Foto: Klaus Gohlke