Klaus Gohlke: Vom Baum bis zum Eisbären
Vor ihrer Verrentung kramen die Puhdys in der Wolfenbütteler Lindenhalle noch einmal ordentlich in der Nostalgiekiste
Man fasst es nicht! Erster Song des Abends, zweiter Refrain. Sägestimme „Maschine“ und Frontmann Dieter Birr reckt die Arme empor und setzt das Mitklatsch-Signal. Und die Fans stehen auf – alle, ein paar Beinkranke ausgenommen – und clappen. Sie singen textsicher und vernehmlich. Die Lindenhalle ist ausverkauft. „Nein, wir gehen nicht fort, bleiben hier an Bord!“
Was natürlich eine fette Lüge ist. Denn natürlich gehen sie von Bord, die Puhdys. Ihre Abschiedstour ist es. Ein sogenanntes „vollverstärktes Akustik-Konzert“. Finales Steckerziehen ist am 31.12. in der O2-World-Arena in Berlin.
46 Jahre auf der Bühne, mehr als 20 Millionen verkaufte Platten. Die „Stones des Ostens“, Nationalpreisträger der DDR, auslandstauglich beim „Klassenfeind“ – in Westberlins Waldbühne 1981 und in Radio Bremens „Musikladen“. Filmmusiker u.a. in der „Legende von Paul und Paula“. Und wer dachte, nach der Wende müsste es nun aus sein mit der Truppe, der irrte ziemlich. Weiterhin Hype.
Und warum? Reine Ostalgie? Damit wird man der Sache nicht gerecht. Die Jungs spielen „Deutsche Mugge“, sie spielen vor allem perfekt auf der Klaviatur der kleinen Gefühle. Ein bisschen Frieden, Glück, Traum und ewiges Leben. Bitte, keine Probleme!
Lieber das ferne Land und so etwas von „Working Class Hero“ in „Perlenfischer“ Der Angst vorm Altwerden ein wenig trotzig ein „Scheiß drauf“ entgegen setzen in „Rockerrente“. Und, na klar: Ewige Liebe und Treue in “Königin“ und „Lebenszeit“. Dazu Gemeinschaftsgefühl in „Hey, wir wollen Eisbären sehn“. Und hör mal: Halt fest an deinen Träumen. „Wenn Träume sterben (wird es kalt, wirst du alt)“. Na also. Es ist eh alles „Eine Frage der Ansicht“, und zwar im Dreiviertel-Takt. Und – „Was macht man beim Walzer?“, fragt „Maschine“. Genau, man schunkelt, und fast alle in der Lindenhalle stehen auf, haken einander unter und schunkeln.
Es bisschen von der bösen Welt muss aber auch sein. Die Warnung vor dem Atomkrieg („Hiroshima“) und dem völligen Verglühen der Erde mit dem Schlusssong „Das Buch“. Dazu wedeln die Fans rhythmisch mit den Armen, setzen Hüte mit LED-Sternchen auf und jubeln.
Dass das alles runtergeht wie Öl, dazu trägt die Musik bei. Gefällige vorhersehbare Harmonien, ein vollfetter Sound. Das Aufsässige des Rock? Gecancelt.
Schwamm drüber: die drei Ur-Puhdys sind weit jenseits der Altersgrenze und haben sich den Ruhestand redlich verdient, und wenn die Fans Puhdy-Opium brauchen: alles eine Frage der Ansicht.
Braunschweiger Zeitung 12. 05.2015