Vierer ohne Steuermann
Das Posaunenquartett „Vertigo“ erobert die Herzen des Braunschweiger Publikums im Sturm
Posaune! Das Wort klingt nicht so gut. Niederschmetternd stark. Das Buch Josua und der Fall Jerichos fällt einem ein, einstürzende Altbauten. Schön, es ist dort die Rede von sieben Posaunen aus Widderhörnern inklusive Feldgeschrei. Am Donnerstagabend waren nur vier Posaunen am Werk, alle aus Metall und ohne zusätzliches Brüllen. Dafür aber im rappelvollen Roten Saal des Braunschweiger Schlosses. Todesmutige Musiknarren?
Mitnichten. Nils Wogram, Ex-Braunschweiger Posaunenmeister, brachte drei weitere Spezialisten für sauberes Gebläse ins Spiel und demonstrierte die hohe Kunst modernen Posaunenspiels. Das meint nun nicht die bloße Demonstration von Virtuosität. Die Kompositionen, bis auf eine, alles eigene Kreationen, erlaubten Entdeckungen.
Hier hörte man als musikalische Struktur einen Blues mit einer schönen Walking-Bass-Linie heraus („Noir“). Klang da nicht das Zusammenspiel wie der Blechbläserchorus einer 40er Jahre-Bigband? Es gab Rückgriffe auf afrikanische Rhythmen („Developing Good Habits“), auf Balkan-Jazz („Let’s dance“). Polyphone kirchenmusikalische Rückgriffe konnte man erahnen.
Aber auch spieltechnische Feinheiten ließen sich studieren. Wie kommt man zu so unterschiedlichen Tönen auf dem Instrument, von rohen Bratz-Tönen bis zu ganz feinem, hellem Klang? Blasen ins Rohr ohne Mundstück ergibt so etwas wie Beatboxing. Woher bekommt man die Luft für so wunderbar lang anhaltende Glissandi? Wie kommt die Viererbande eigentlich rhythmisch klar ohne Dirigenten bzw. ersten Posaunisten? Mal zählte Jan Schreiner an der Bassposaune oder Tuba die Finger. Bernhard Bamert arbeitete mit intensiven Blickkontakten, Nils Wogram schwenkte seine Tenorposaune eher seitlich, Andreas Tschopp mehr auf und ab. Vor allem aber wippen die Füße. Selbst höchst ungerade Zählzeiten.
Interessant auch die stetig wechselnde Aufgabenverteilung im Quartett. Mal fast traditionelle rhythmische Grundlegung durch die Bassposaune, um so den Tenoristen Raum für solistische Ausflüge zu gestatten. Dann aber gab es die völlige Umkehrung: der Bass zog im Alleinflug davon, die drei Tenöre gaben sich bedeckt. Völlig polyphone und Unisono-Passagen wechselten sich ab. Musikalische Basisdemokratie.
Dann die klanglich-dynamische Vielfalt. Blasen ohne Ton z.B., ein kontemplatives Meeresrauschen. Dagegen als harter Kontrast die Posaune als Instrument, das tiefen Schmerz expressiv schreit. Das Publikum genoss. Posaune – klingt gut.