




Text und Fotos: Klaus Gohlke
Die „ Braunschweigische Landschaft e.V.“ präsentiert zum achten Mal das Festival „Jazz im Park“
Es hat etwas Unwirkliches. Ungefähr 500 Menschen lagern auf Rasenflächen vor einer Bühne. Eingerahmt von eindrucksvollen alten Wirtschaftsgebäuden und zugehörigem Herrenhaus einer Kloster- und Rittergutsanlage, von Teich- und Bachlandschaften, imposanten Bäumen und weiten Weideflächen. Still lauschen sie den Klängen eines Pianisten.
Der Wunschtraum des Loriot’schen Hermann geht hier in Erfüllung: „Ich möchte hier nur sitzen!“ Nicht Spazierengehen, kein Reden, keine Illustrierte, nichts Müssen. Nur Hier und Jetzt. Etwas Vogelgezwitscher, Kühe im Hintergrund. So etwas wie interesseloses Wohlgefallen an schöner Umgebung und Musik, die weder beißt, noch platt ist. Vom Harz her drohen Gewitterwände. Das einzig Beunruhigende.
Nahezu surreal in diesen Zeiten permanenter Anspannung, von Äußerungsübermaß und Dauergereiztheit. Der Anlass? „Jazz im Park“. Diesmal im Landschaftspark des Rittergutes Dorstadt.
„Ein tolles Konzept des Vereins Braunschweigische Landschaft! Die achte Veranstaltung schon. Sie sollte schon letztes Jahr hier stattfinden, aber, nun ja. Gecancelt wegen des Virus“, wie Klaus Hermann, Organisator des Festivals, zu berichten weiß. Diese Kleinodien unserer Region, die Rittergüter und Schlösser mit ihren Parkanlagen zugänglich zu machen über ein relaxtes musikalisches Event, das ist eine großartige Idee und in der Tat eine Erfolgsgeschichte.
Das Geheimnis dahinter? Nun, es geht nicht um Jazz, nicht um Parks – es geht um Jazz im Park. Der Zusammenklang von eindrucksvollem Ambiente, guter Unterhaltung und perfekten Rahmenbedingungen macht’s. Hervorragend organisiert von der Feuerwehr, DRK und vielen Helfern unter der Ägide der „Braunschweigischen Landschaft“ und dem Team des Schlossherrn Konstantin von Löbbecke, der kurz über die historischen Hintergründe der Anlage berichtet.
Genauso durchdacht und gut organisiert der musikalische Rahmen. „Jazz ohne Zahnschmerzen!“ wurde im Vorhinein etwas platt angekündigt. Mitnichten aber wurde Weichgespültes geboten. Jan-Heie Erchinger, musikalischer Leiter des Festivals, machte das gleich als Opener mit seinem Piano-Solo-Auftritt klar. Keine Zufallsimprovisationen. Vielmehr ein Stilmix aus Blues, Rag, Swing, Standards-Zitaten, der immer wieder leitmotivisch durchzogen wurde von Pete Seegers Antikriegslied „Where have all the flowers gone“. Eine beziehungsreiche Idee.
Das Braunschweiger Laokoon-Quintett spielte ein anspruchsvolles Porträt der Jazz-Ikone Miles Davis. Eine absolut gelungene Würdigung der Jazz-Ikone, die hier einmal ein größeres Auditorium fand.
Und auch das Hannoveraner Chiara Raimondi Quintett war kein Eays-Listening-Act. Sinnreich und spannend präsentierte die hervorragend eingespielte Band der stimmlich eindrucksvollen italienischen Sängerin Modern Jazz mit folkloristischen Elementen.
Géza Gál’s Jazz Affair bildete dann einen schönen Abschluss des Parkkonzertes, insofern gekonnt populärere Songs zelebriert wurden. Mit einem Ohrwurm wie „Sitting on the Dock oft he Bay“ im Ohr ließ es sich leichter Abschied nehmen vom schönen Ambiente. Ach – und es spielte noch jemand mit: das Wetter. Watt’n Glück.
Text und Foto: Klaus Gohlke
Trotz Delta-Variante und Regengüssen: Ein hoffnungsfrohes Jazzkonzert mit dem Simon Below Quartett
Nein, kein „Cave- oder Höhlen-Syndrom“.* Weder bei den Musikern noch bei den Konzertbesuchern. Höhlensyndrom – das ist so eine Folgeerscheinung der Corona-Geschichte. Nämlich die Angst, wieder unter die Leute zu gehen. Hätte ja sein können, zumindest beim Publikum. Die Musiker, vier junge Kölner Jazzer, drängt es ja nun in der Après-Covid -Zeit mit aller Macht ans Licht. Aber das Publikum war doppelt unter Druck. Evidenz 10 plus in Braunschweig und dann noch das Wetter am Freitagabend. Regen ohne Unterlass von nicht geringer Intensität. Trotzdem: Auch hier ZUVERSICHT!
Um die 80 Jazzbegeisterte waren so unter Entzug, dass sie sich aufmachten zum Open-Air auf der Freifläche am KULT-Theater. War aber auch alles regelkonform von der Initiative Jazz Braunschweig in Zusammenarbeit mit Kult-Chef Thomas Hirche organsiert. Das Besondere und Entspannende an diesem Terrain freilich ist, dass fast alles überdacht ist und gut bestuhlt werden kann.
Beste Voraussetzungen also für, wie der Bandvorstand Simon Below erläuterte, den „ersten echten Gig nach der langen Covid-Pause. Und das erste CD-Release-Konzert der Band nach der 2020er Produktion der neuen CD.“ Normalerweise, muss man wissen, fallen CD-Erscheinung und Promotion über Konzerttouren immer zusammen.
Die Bedeutung des Auftritts, so Below im Gespräch, liege aber nicht im kommerziellen Sektor. „In diesen Tagen der Öffnung, der Rückkehr in die Normalität, haben wir gemerkt, wie viel Energie man vom Publikum bekommt. Das versetzt einen Musiker in Ekstase – auf und abseits der Bühne. Das gilt auch für die Konzertbesucher und bringt die Musik auf eine neues Level, welches man ohne Publikum nicht erreicht.“
Dem ist nichts hinzu zu fügen. Freilich, von Ekstase zu sprechen, ist vielleicht etwas kühn. Wer bei vier Jungjazzern, die sich dem Modern Jazz verpflichtet fühlen, auf wild vorwärtsstürmende Temperamentsbolzen hoffte, sah sich getäuscht. Simon Below an den Keyboards, Fabian Dudek am Altsaxofon, Yannik Tiemann am Kontrabass und Jan Philipp am Schlagzeug fühlen sich einer anderen Ästhetik verpflichtet. Die Stücke beginnen oftmals suchend-zurückhaltend. Eher zögernd wird musikalisches Gelände gestaltet. Es werden Melodiefragmente oder Klangräume eröffnet als Angebote an die Bandkollegen, diese aufzugreifen und individuell zu gestalten.
Das ist insofern bemerkenswert, weil sie sich dem Gebot des „Schneller-Höher-Weiter“ widersetzen und ein ausdauerndes Zuhören einfordern. Es ist spannend, zu verfolgen, welche Dialoge sich zwischen den Musikern entwickeln, wobei es überwiegend die zwischen Keyboard und Altsaxofon sind, während Bass und Schlagzeug die verlässlichen Strukturen kreieren. Erstaunlich für so eine junge Band die souveräne Gestaltung der Interplays, die Ausflüge ins Dissonante, das Changieren zwischen modaler Offenheit und Arbeit mit festen Strukturen. Nur ab und an stellt man sich die Frage: „Ja, wann geht es denn hier endlich mal ab?“ Passiert ja, könnte vielleicht aber des Öfteren geschehen?
*BZ v. 7.7.21
Kaum beeindruckt von Corona präsentieren „Die Freunde Neuer Musik Braunschweig e.V.“ ihr jährliches Festivalprogramm Text und Fotos: Klaus Gohlke
Corona mache alles kaputt, was Kultur betrifft. Und wenn nicht, dann gebe es höchstens Schmalkost. Stimmt ja. Aber nicht immer. Vlady Bystrov, Braunschweiger Multiinstrumentalist, Komponist und entschiedener Vertreter der Neuen Musik, er könnte dem nicht so umstandslos zustimmen. Sein alljährlich stattfindendes Festival „Drei Tage Neue Musik Braunschweig“ findet auch 2020 statt. Und abgespeckt ist es nun überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Na klar: Die Konzerte dauern maximal eine Stunde, keine Pause. Wein gibt es auch nicht zu kaufen, sagt die Einladung. Anderes folglich wohl auch nicht. Dieser Speck ist weg. Dafür aber gibt es aus musikalischer Sicht, um im Bilde zu bleiben: Filet.
Aufführungen der Braunschweiger Klangwerkstatt etwa von Kompositionen wichtiger, wenngleich nicht unbedingt bekannter Gegenwartsmusiker. Eine Uraufführung eines Bystrov-Werkes sogar. Vor allem aber das Samstagabend – Programm am 10. Oktober ist der „Hammer“. Denn neben Bystrov treten zwei absolute Hochkaräter des avancierten Gegenwarts-Jazz auf: Simon Nabatov am Piano und Avantgarde-Drummer Christian Lillinger. Schwer zu bekommen diese Herren im Normalbetrieb. Hat Covid 19 ihnen so große Löcher in die Konzertpläne gefressen, dass sie jede Auftrittschance wahrnehmen?
Vlady Bystrov will dem nicht zustimmen. „Nein. Zu Simon Nabatov habe ich schon lange Kontakt. Er ist ein absolut versierter und vor allem neugierig-offener Jazz-Pianist, der gern über den eigenen Gartenzaun schaut. Und Christian Lillinger ist für mich kein Schlagzeuger, er ist viel mehr. Er ist Melodiker. Und beide finden mein Projekt der Echtzeitkomposition höchst spannend.“
Na gut, große Namen sind das eine, aber worum geht es Bystrov in diesem Jahr inhaltlich? Im Zentrum des Festivals steht der italienische, ja was eigentlich? Nicht Komponist, einfach Musiker auch nicht. Sagen wir: der musikalische Querdenker und Tonsetzer Giacinto Scelsi. Ein intuitiver Improvisator, dem musikalische Vorschriften und Konventionen zutiefst auf den Nerv gingen. Faszinierend für Bystrov, weil er bei Scelsi eigene musikalische Prinzipien erkennt?
„Ja, vielleicht. Er fasziniert mich, weil er ein Grenzüberschreiter ist. Alle diese Musikerinnen und Musiker, die aus dem Üblichen ausbrechen, interessieren mich. Und ich möchte, dass die Leute hier sie über das Festival kennenlernen.“
In der Tat. Scelsis Kompositionen widersprechen der europäischen Tradition des Komponierens. Keine traditionellen Satztechniken, kein Bezug zu Konzepten der musikalischen Moderne. Dafür Sphärenklänge, Mikrotonalität, fernöstliche Ideen. Man sieht in ihm einen Stammvater der musikalischen Avantgarde.
Allerdings – musikalische Avantgarde, das riecht doch arg nach Schwerverständlichkeit, nach hermetischer Musik, nach elitärem Kunstgenuss. Wie soll man mit einer Musik umgehen, der unsere üblichen Hör-Orientierungen fehlen? Kann man diese Musik hören, ohne so komplex wie der Komponist und Interpret mitzudenken? Kann man diese Musik „einfach so“ aus sich heraus genießen?
Bystrov teilt die Bedenken nicht. „Wir spielen ja nicht irgendwelche Töne, die uns gerade einfallen. Ich liebe Melodien, nicht Abstraktionen. Und Echtzeit-Komposition hat Struktur. Einer eröffnet mit einem Thema. Wir hören einander, reagieren, erweitern, verändern. Also das, was man Ausführung nennt. Und suchen dann ein Ende. Dem kann man sich als Hörer einfach hingeben.“
Einfach? Nun ja. Was man braucht, ist Neugier auf Unerwartetes, Offenheit für Unerhörtes. Man muss Grenzen überschreiten wollen, was Musik betrifft. Das Festival „Drei Tage Neue Musik“ vom 9.-11. Oktober 2020 bietet genug Gelegenheiten dafür.
Freitag, 9.Okt.2020 19.30 Uhr. Samstag, 10. Okt. 2020. Sonntag, 11. Okt. 2020. 11 Uhr
Alle Konzerte finden in der Dornse des Altstadtrathauses Braunschweig statt.
Das komplette Programm ist einsehbar unter https://neue-musik-bs.de/.
Wegen der Corona-Auflagen ist die Zuschauerzahl in der Dornse auf 50 Personen begrenzt, Vorverkauf ist dringend geboten.
Die Braunschweiger Red Onion Jazz Company blickt mit einer Dokumentation auf mehr als 50 Jahre Bandgeschichte zurück
Text: Klaus Gohlke Fotos: Dr. Klaus Peter „Knatze“ Ulbrich
„Früher kam die Musik noch zu uns. Jetzt müssen wir ihr nachlaufen!“, seufzt Knatze. Früher – das sind nicht die Frühjahrs-Vor-Corona-Zeiten. Nein, früher, das sind die 1970er, 80er, 90er Jahre. Und Knatze ist nicht etwa ein sentimentaler Alt-Rocker oder so etwas. Nein, dahinter verbirgt sich Dr. Klaus Peter Ulbrich, seines Zeichens Drummer der „Red Onion Jazz Company“ und so etwas wie deren Organisationszentrale. „Früher konntest du dich vor Auftrittsangeboten nicht retten. Aber dann wurde das Interesse an unserer Musik immer weniger.“
Tja, man kann es nicht leugnen. Wer fährt heute schon noch ab auf Oldtime-Jazz, denn das ist die Musik, die die „Red Onions“ spielen. Echte alte New Orleans Besetzung. Drei Bläser, vier Rhythmiker. Wie bei den berühmten Vorbildern und Namenspatronen, die Red Onion Jazz Babies mit Louis Armstrong an der Trompete. Übrigens: Rote Zwiebeln – der Name hat einen Regionalbezug. „Zwiebeln, Braunschweiger dunkelblutrote, mit Keimgewähr“, so steht es auf den Saatgutbeuteln.
Jetzt aber spricht Knatze von der Band als „Braunschweiger Alt-Last“. Im übertragenen Sinne natürlich. Seit 52 Jahren gibt es die Truppe. Natürlich in immer mal wieder wechselnder Besetzung. Nur der Bläser Alfred Tischel ist aus der Urformation noch dabei. Knatze allerdings „zwiebelt“ auch schon seit 50 Jahren die Felle.
Von Früher zu schwärmen – eine Alterserscheinung? Mag sein, aber gut fünfzig Jahre eine Band am Laufen zu halten, ist wohl Stolz und Rückblick wert. TradJazz war mal schwer in. Das kann sich weder die lockige Unschuld noch der kahle Scheitel vorstellen, dass diese Musik mal Top-Ten tauglich war. Wochenlang blockte beispielsweise der Jazzklarinettist Acker Bilk die Charts. Millionenseller von Chris Barber, Papa Bue. Überall wurden Bands gegründet, die diesen Gute-Laune-Jazz mit Verve zelebrierten.
Klar, die ProgJazzer blickten auf diese Mucker herunter, sprachen von „Mäuse- oder Mickey Maus-Jazz“, wie Ulbrich zu berichten weiß. Aber – die Braunschweiger Jazz Company war durchaus angesagt. Alle Jazzclubs der Stadt und der Region wurden an den Wochenenden bespielt, und derer gab es in den 70er, 80er Jahren nicht wenige. Man wurde – ein Zeichen hoher Wertschätzung – mehrfach zum Internationalen Dixieland-Festival nach Dresden eingeladen, spielte beim schwedischen Hällevik-Festival. Gerhard Schröder wurde auf der Kanzler-Tour begleitet, wie auch die Lesereise der Braunschweiger Zeitung nach New Orleans inklusive Live-Acts dort. In der Partnerstadt Bath bereicherte man das Kulturprogramm. Man engagierte sich sozial mit Benefizkonzerten, absolvierte Rundfunk- und Fernsehauftritte und spielte folgerichtig auch Schallplatten und CD’s ein, fünf insgesamt über die Jahre.
Um Zuhörer zu gewinnen, erweiterte man das Repertoire mit Songs der 1920er-40er Jahre. „Deutlich vor Max Raabe spielten wir „Herr Ober, zwei Mocca“ oder „Ich lass mir meinen Körper schwarz bepinseln“, merkt Knatze Ulbrich hörbar stolz an. Aber immer klarer musste die Band feststellen, dass sie von der Bühne auf „Baumwollfelder“ vor sich blickte. Band und Publikum alterten; die Engagements gingen spürbar zurück. Krankheit und Tod belasten, es hilft kein Drumherum-reden. Da muss Covid 19 dann doppelt schmerzen. Man hat ja keine Zeit mehr zu verschenken in dem Alter. „Nicht einen Ton haben wir in diesem Jahr gespielt, es gibt auch kaum konkrete Pläne!“, merkt Ulbrich bitter an.
„Umso wichtiger schien es mir und der Band, diese mehr als fünfzig Jahre Leben für den traditionellen Jazz und diese Stadt nicht einfach so ausklingen zu lassen, sondern alles in ansprechender Form zu dokumentieren.“ Und so hat „Knatze“ Ulbrich auf 112 Seiten mustergültig alles zur Geschichte der Band zusammengestellt, ansprechend gestaltet von „Hinz & Kunst, Braunschweig“. Kurze prägnante Texte, jede Menge Fotos, das Repertoire, Covers, eine Fülle von Plakatrepros – ein Stück Braunschweiger Kulturgeschichte mithin, das zu studieren auch für Nicht-Jazzer von Interesse sein dürfte.
Dr. Klaus Peter „Knatze“ Ulbrich: Red Onion Jazz Company 1967-2019. Erhältlich über die Buchhandlung Graff, Braunschweig, 15 Euro.
Foto: O.W. Home
Trauer und Dankbarkeit
Der Braunschweiger Jazzpianist und- pädagoge Otto Wolters ist im 82. Lebensjahr verstorben Klaus Gohlke
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in den „Sozialen Medien“. Otto Wolters ist tot! Der Mann, der wie kein zweiter das Gesicht des Braunschweiger Jazz war. Innerhalb von 24 Stunden über 3500 Aufrufe bei Facebook, Beileidsbekundungen von überall her, bezeugen seine Wertschätzung weit über den Braunschweiger Raum hinaus. „Ein großer Verlust für die ganze Szene!“ „Otto war eine Lichtfigur und absolut authentisch!“ „Großartiger Lehrer, großartiger Mensch!“ „Sensibler Klavierspieler.“ „Er hat mich zum Jazz gebracht.“ „Seine Konzerte sonntags im Anton Ulrich!“ So oder so ähnlich wird kommentiert. Otto Wolters, 1938 in Oldenburg geboren, geliebter Mittelpunkt seiner Familie, ist nach längerer schwerer Krankheit am Montag verstorben.
Dass Braunschweig heute einen Ruf als Top-Adresse des nationalen und internationalen Jazz hat, das ist ganz wesentlich Otto Wolters‘ Verdienst. Auf drei Ebenen, die eng miteinander verwoben waren, gelang es ihm, den Jazz zu etablieren. Als Praktiker in seinen verschiedenen Band- und Soloprojekten, als Lehrer an der Musikhochschule Hannover und der Städtischen Musikschule Braunschweig, schließlich als Initiator und treibender Motor der Braunschweiger Jazz-Szene, organisiert in der Braunschweiger Musiker-Initiative.
Jazz galt in den frühen 70er Jahren hier als ein sehr eigenartiges Gebräu. Als schräge Ami-Mucke oder aber als eine Art „Eliten-Protest-Musik“. Kaum verortbar nebulös zwischen Dixie und Post-Bop pendelnd, zwischen Riverboat-Party und Räucher-Keller. Otto Wolters nun gelang es einerseits, diese Musik in Braunschweig und darüber hinaus gewissermaßen zu erden. Vor allem dadurch, dass er das Fach „Jazzpiano“ an der Städtischen Musikschule Braunschweig zu etablieren vermochte, aber auch durch seine zahlreichen Konzerte, die mit Braunschweiger Lokalen untrennbar verbunden sind: „Bassgeige“, „Altdeutsche Bierstube“, „Lindenhof“.
Gleichzeitig aber verlieh er dem Jazz eine Aura der Seriosität. Durch sein Zusammenspiel mit Jazzern von Rang und Namen: Sonny Stitt, Attila Zoller und Gunter Hampel, um nur wenige zu nennen. Vor allem aber, indem er zusammen mit seinen Mitstreitern in der Musikerinitiative Jazzmusiker der Top-Liga nach Braunschweig holte. Etwa US-Shooting Star Pat Metheny, deutsche Avantgardisten wie Albert Mangelsdorff und Joachim Kühn. Jazzmucke wurde in den Konzertrang erhoben, Gepflogenheiten bürgerlichen Konzertverhaltens übernommen.
Vieles kann man nur antippen. Wolters‘ Arbeit für das Goethe-Institut, Cross-over-Projekte mit Hans-Christian Wille, der Münchner „Klaviersommer“, die Reihe „Jazz und Lyrik“. Viele unserer in der Region aktiven Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker sind durch seine Schule gegangen. Zweierlei ist von ihnen immer wieder zu hören. Er habe ein ungemein feines musikalisches Empfinden besessen, gepaart mit großem pädagogischem Feingefühl. Aber dann vor allem: Otto Wolters sei immer ein Mensch gewesen, im besten Sinne. Was bliebt, sind Trauer, Dankbarkeit und großer Respekt.
Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker der Region angesichts Covid 19
Text/Fotos: Klaus Gohlke
Jazzer gelten als die Kirchenmäuse unter den Musikern. Nicht, weil sie so possierlich spielten. Nein, es reicht hinten und vorne nicht, was sie da einspielen. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Deshalb haben sie zu den normalen zwei Beinen eines Menschen noch mindestens zwei andere, nämlich berufliche Beine. Das Jazz-Spielbein und das alltagsabsichernde Standbein. Bislang schaukelte man die Sache irgendwie so hin, dass man über die Runden kam. Ein Schleuderkurs, mal Lust, mal Frust. Nun aber- in Corona-Zeiten – könnte ziemlich Schluss mit lustig werden.
Da ist Britta Rex, weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte freiberufliche Sängerin mit mindestens vier Projekten. „Was Corona konkret für mich bedeutet? Der Gesangskurs in Italien wurde abgesagt. Ein Grundschulprojekt in der nächsten Woche. Wie es mit meinem Lehrauftrag an der Musikhochschule in Hannover weitergeht, weiß ich nicht. Ich habe einen Honorarvertrag, keine Festanstellung. Das sind dann Totalausfälle. Gesichert ist die Arbeit an der Musikschule Salzgitter. Der Brotjob gewissermaßen. Alles andere – völlig unklar.“ Da es nicht Konzertangebote regnet, wird die Einnahmesituation also äußerst unübersichtlich. Was nun tun? Gut, sie hätte Zeit über ihr neues CD-Projekt nachzudenken. Aber, das koste auch Geld. Und: Not mach erfinderisch. Man könne Web-Seminare abhalten, zoomen. Man könnte über Streaming-Portale Konzerte anbieten. Etwas steril, so ohne Publikum. Vor allem aber: Wie soll das Geld abwerfen? So etwas wie ein „Spielen für den Hut“ auf elektronischer Basis? Völlig ungeklärt. Offizielle Streaming-Portale kann man eh abhaken. Das läuft nur für „big names“ profitabel.
Und da ist Heinrich Römisch, der Mann der tiefen Töne. Viel unterwegs in Sachen Jazz. Breit aufgestellt mit Swingmusik, freier Improvisation, Loungejazz, Modern, Sessions, Auftragsbeschallung bei Feiern und Veranstaltungen. Römisch ist frustriert. „Ziemlich düster das alles. Ein gutes Honorar bei der Braunschweiger VHS ist weg. Konzerte in der Bassgeige, dem Kulttheater, bei Steigenberger, BS-Energy, das Hamburger Hafenfest, ein Workshop in Thüringen: Alles ersatzlos gestrichen oder auf der Kippe. Gerade die nicht-öffentlichen Engagements bei Firmenfeiern und Privatem brechen weg, weil dort auch Unsicherheiten bestehen. Was soll ich denn stärker fürchten: die Ansteckungsgefahr oder den finanziellen Absturz?“ Auch Römisch hat ein zweites Standbein. Freiberuflicher Illustrator und Graphiker. Was in Zeiten verbreiteter Unsicherheit ebenfalls zu einem Vabanque-Spiel wird. „Was dann bleibt, sind die eigentlich für später gedachten Ersparnisse!“
Freilich – nicht alle Jazzmusiker der Region sind derart eingebunden in den Jazzkontext. Elmar Vibrans, Tastenexperte, hat auch mindestens sechs Projekte unterschiedlicher Couleur am Laufen. „Derzeit liegt aber nicht viel an“, sagt er im Gespräch. Er lebt vom Unterrichten und das laufe jetzt weitgehend auf der digitalen Ebene ab. „Also skypen, Noten online versenden, mailen, MP3s schicken. Man muss improvisieren.“
Auch Braunschweigs Schlagzeug-Allrounder Eddie Filipp gibt sich noch zwei bis drei Monate, die er überwintern bzw. „überviren“ kann. Sein Sorgenblick geht eher in Richtung der freiberuflichen Musical- und Orchesterplayer. „Die stehen ja voll auf dem Schlauch!“
Das gilt aber auch für Braunschweigs bedeutendsten Jazzer, dem in der Schweiz lebenden Posaunisten Nils Wogram. Sein Konzert im Roten Saal für kommenden Sonntag ist gestrichen. Ein Telefonat mit seinem Promoter verläuft zäh ob der niederschmetternden Fakten. „Diese aktuelle Tour musste abgesagt werden, weil seine beide amerikanischen Bandmitglieder Einreiseprobleme bekommen hätten. Mittlerweile sind aber alle Konzerttermine gestrichen, weil ja Aus- und Einreisesperren gelten. Das sind hohe Verluste, die für jemanden, dessen Job die Musik ist, schwer kompensierbar sind!“
Die Beispiele mögen genügen. Die „Kirchenmaus-Situation“ spitzt sich zu. Wohl jenen, die feste Verträge etwa bei der Städtischen Musikschule haben. Gibt es Hoffnungen? Zuschüsse seitens der Stadt, des Landes, des Bundes? Man vergesse nicht, dass Jazz nur eine Randnische besetzt. Im Netz finden sich Spendenaufrufe, Forderungen nach einem halbjährigen Bürgergehalt, Petitionen. Gut gemeint, aber wenig aussichtsreich. Für viele bleibt nur die Hoffnung, dass es nicht zu lange dauern möge mit dem Virus und sich dann irgendwie richte.
Das „Jan Behrens Trio“ stellt neue Songs im ausverkauften Roten Saal vor
Text und Fotos: Klaus Gohlke
Lag es an der Abmischung, lag es am Konzept, an einer gewissen inneren Anspannung? Wahrscheinlich an allem. Der Braunschweiger Pianist Jan Behrens will demnächst eine neue CD einspielen und stellte an frühen Sonntagabend einem breiteren Publikum im Roten Saal das frische Songmaterial vor. Nun ist die Arbeit im Tonstudio nicht mit einem Live-Auftritt zu vergleichen. Wäre es aber so, dann erwartete die Öffentlichkeit wenig Aufregendes.
Dabei verkündete Behrens Programmatisches. Es ginge ihm nunmehr um andere Sounds, um den Versuch, die Dinge einfacher zu machen. Weg von der Komplexität. (Aber: Gab es die denn je bei diesem Trio?) Schon was die Taktwahl beträfe, käme er immer öfter zum Walzer. (Wogegen ja prinzipiell nichts einzuwenden wäre!) Überhaupt lebe die Kunst ja vom Ausprobieren, deshalb sei diesmal auch das Genre „Country“ vertreten. (Was auch weder verwerflich noch revolutionär ist.) Nur: Geht es wirklich um die große Kunst des Einfachen oder bleibt es ein Verharren im Schon-Bekannten, um Simplifizierung?
Werden denn die musikalischen Mittel, die die Handwerkskiste des Jazz doch zu Hauf bietet, genutzt, um aus diesen traditionellen Formen etwas Aufregendes zu machen? Etwas, was die Variation des Immergleichen durchbricht und aufhorchen lässt, ohne deswegen hoch abstrakt zu werden?
Die Stücke zeichnen sich überwiegend durch eine gewisse strukturelle Gleichförmigkeit aus. Das liegt nicht daran, dass Behrens‘ Kompositionen repetitive Bausteine verwenden. Die zweifellos vorhandenen harmonisch-rhythmischen Figuren werden einfach nicht entfaltet, sondern schmerzhaft in einem dynamischen Einheitsbrei platt gespielt. Die Piano-Soloparts bleiben harmonisch und rhythmisch eher schematisch. Gegen Wohlklang ist ja nichts einzuwenden, sofern er sich nicht darin erschöpft. Es fehlte einfach an Gestaltung.
Warum etwa nicht mal die völlige Zurücknahme des Pianos, um André Neygenfind am Kontrabass Geschichten erzählen zu lassen? Und Eddie Filipp am Schlagzeug Raum und Zeit zu geben, Klangfarben zu entfalten und Akzente zu setzen, die die Strukturen durchbrechen? Natürlich spielen beide präzise ihre Rolle, und sie hatten auch ab und an Gelegenheit, sich solistisch zu präsentieren. Aber das blieb doch alles sehr konventionell.
Auch die Präsentation eines Special Guests, nämlich der Vokalistin Britta Rex, brachte nur bedingt Farbe in die Sache. Sie kam zum einen gegen den Klangwall nicht an, zum anderen schien zumindest zu Beginn die Tonlage der Komposition ungeeignet, um sich abzuheben.
Dass das anders gehen kann, zeigte das Trio zunächst in einer vom Takt her interessanten 7/4 -Komposition, und Britta Rex zum Schluss in der Bearbeitung einer Cassandra Wilson – Nummer, bei der sie loslassen konnte, um ihre Scat-Gesang-Talente zu zeigen.
Die Generalprobe war wenig überzeugend, das spricht für ein besseres Ergebnis im Studio.
Das Eva Klesse Quartett spielt begeisternden modernen Jazz im ausverkauften Roten Saal Text/Fotos: Klaus Gohlke
Nein, das waren keine neuen Hoffnungsträger des Jazz, keine „upcoming stars“, kein Silberstreif am Jazzhorizont. Nichts von dem, was medial wichtigtuerisch herum posaunt wird und doch bloßer Reflex kulturindustrieller Imperative ist.
Es war „nur“ das Eva Klesse Quartett, das am Freitagabend auf Einladung der Initiative Jazz Braunschweig im Roten Saal spielte. „Nur“? Nun, es spielte eine hervorragend eingespielte, kreativ miteinander kommunizierende Formation. Vier MusikerInnen, die ihr musikalisches Handwerk bis ins Detail verstehen. Die nicht morphten oder Module konstruierten, auch kein angeblich neues „zirkulares Musikverständnis“ zelebrierten, wohl aber Kompositionen spielten, deren zugrunde liegende Ideen den ZuhörerInnen unmittelbar einleuchteten. Die eine Basis lieferten, Jazz-Spaziergängen zu folgen, auch wenn sie mal ins musikalische Hochgebirge führten.
„Wesen und Zustände“, so Eva Klesse, „spiegeln die Stücke wider oder sind Ausgangspunkte.“ Alltägliche Verwirrungen, Traumsequenzen, Gefühlsüberschüsse, Fabelwesen, Erinnerungen, die in Musik transformiert werden.
Fast programmmusikalisch mitunter, wie in „Klabautermann“. Geisterartig-verschwebende Sounds als Einstieg, gefolgt von einer dramatisch aufgeladenen Fortführung, die sich zu einem wilden Tanz entwickelte. Ja, der Schiffsgeist war an Bord! Dann überraschend ein harter Break – etwas, was das Klesse-Quartett liebt – dem fast kammermusikalische Gespräche zwischen Bass und Piano folgten. Ein langes Crescendo dann, ein Finale furioso, wüst, die tonalen Grenzen aufsprengend. Klare Botschaft: Der Schiffsgeist geht und das Schiff unter.
Ganz anders präsentierte sich das Quartett in „Gravity“. Melancholisch-düster, verzerrt, hoch- und tiefst-tönig, mal völlig transparenter Klang, dann mächtig anschwellender Soundwall. Dazwischen wiederholt eine wunderschöne Melodie bei Reduktion der Begleitung auf das Nötigste.
Überhaupt: Improvisation und Komposition verschmolzen raffiniert, die Soloparts waren integriert. Und die Verankerung der Band in der musikalischen Tradition auch außerhalb des Jazz war unaufdringlich und doch schön nachvollziehbar in Stücken wie „Hal Incandenza“ oder aber dem anrührenden, nahezu „romantischen“ „Choral für P.“
Eva Klesse weist zu Recht darauf hin, dass sie zwar die „Orga-Chefin“ der Band , das Quartett aber ein Kollektiv sei mit ihr am Schlagzeug, Philip Frischkorn am Klavier, Evgeny Ring am Saxophone und Stefan Schönegg am Kontrabass. Genauso ist es: Ein organisches Gebilde auf höchstem Niveau. Viel Beifall im ausverkauften Haus.
Geschlechtergerechtigkeit ist für die Hannoveraner Bandleaderin, Schlagzeugerin und Jazzprofessorin Eva Klesse ein wichtiges Thema
Eva Klesse spielt am Freitag, 14. Februar 2020 im Roten Saal Braunschweig mit ihrem Quartett Modern Jazz. Sie war 2018 die erste Jazz-Instrumentalprofessorin und lehrt an der Hochschule für Musik in Hannover. Klaus Gohlke sprach mit ihr über die Genderthematik im Jazz.
Frau Klesse, in Deutschland gibt es zwei Instrumentalprofessorinnen für Jazz. Sie sind eine davon. Was ist das Besondere daran im Vergleich zu anderen Lehrenden im Studiengang Jazz?
E.K.: Ich denke, das Besondere ist, dass es immer noch als etwas Besonderes angesehen wird (obwohl wir denken, dass wir – was Gleichstellung in unserer Gesellschaft angeht – angeblich schon „so wahnsinnig weit“ sind und obwohl gerade wir im Jazz, der als progressive Musik angesehen wird, eigentlich Vorreiter sein müssen für gesellschaftliche Prozesse, oder?). Für meine tägliche Arbeit und den Umgang mit meinen Studierenden spielt die Tatsache, dass ich eine Frau bin, keine große Rolle. Das Besondere ist das politische Signal, das von der Berufung von 2 Frauen für diese Stellen ausgeht, die ersten im Jahr 2018, obwohl es Jazz-Ausbildung an Hochschulen schon seit Jahrzehnten gibt. Ich erhoffe mir einen Aufbruch und mehr Diversität unter Studierenden und Lehrenden an Hochschulen, in der Jazzausbildung und überall.
Wolfram Knauer überschreibt ein Kapitel in seiner gerade erschienenen Geschichte des deutschen Jazz: Jazz wird diverser, weiblicher, queerer. Frauen tauchen also auf im Zusammenhang mit Verschiedenartigkeit, mit Normabweichung, wenn man Lexikondefinitionen folgen will. Auch wenn Knauer das nicht so meint, aber Weiblichkeit im Jazz als Abweichung: eine zutreffende Beschreibung?
E.K.: Ich finde das Buch von Wolfram Knauer sehr lesenswert und bin froh, dass auch er dieses wichtige Thema aufgreift. Jazz wird diverser, weiblicher, queerer – das ist/wäre doch ganz wunderbar! Klar waren Frauen bisher in der Jazzwelt/-geschichte die Abweichung von der Norm, aber Wolfram Knauer spricht in seinem Buch ja genau diesen nun stattfindenden und längst fälligen Wandel an: die Szene öffnet sich (und muss sich auch öffnen!), mehr und verschiedenere Menschen finden Platz, Raum und Gehör.
Finden Sie das Tempo im Hinblick auf die Geschlechtergerechtigkeit im Bereich Jazz nunmehr ermutigend oder eher erschreckend?
E.K.: Natürlich dauert das alles lange und manchmal kommt das Gefühl auf, als müsste man wieder neu für Dinge kämpfen, die doch eigentlich schon mal common sense waren. Aber: ich finde es ermutigend, dass gerade ein Wandel stattfindet: gesamtgesellschaftlich und in der Jazzwelt. Und freue mich über alle Kolleginnen und Kollegen, die diesen Weg mitgehen. Erschreckend finde ich den gleichzeitig stattfindenden Backlash, rechts-nationale, rassistische und damit einhergehend auch sexistische und anti-feministische Tendenzen.
Warum ist das mit der Geschlechtergerechtigkeit im Jazz so schwierig?
E.K.: Ich denke, die Gründe für das Geschlechterverhältnis im Jazz sind vielfältig, ebenso wie die Ansätze, um dieses zu verändern. Meine große Hoffnung ist, dass dieses Thema für nachfolgende Generationen irgendwann keine Rolle mehr spielt, ehrlich gesagt, sondern alle ihren Talenten und Neigungen nachgehen können, und sich dabei nicht nach irgendwelchen Gender-Konventionen/ veralteten Rollenbilder richten müssen – Männer wie Frauen! Feminismus und das Streben nach Gleichberechtigung/Gleichstellung sind für alle da!
In Ihrer Band sind Sie die Chefin. Ihre Bandkollegen sind alles Männer. Müssten Sie da nicht gegensteuern, etwa mit reinen Frauenbands (vgl. Marilyn Mazurs „Shamania“)
E.K.: In meiner Band bin ich die Orga-Chefin. Musikalisch wir sind wir ein Kollektiv. Und: ich muss gottseidank gar nix 🙂 Ich finde ja, es sollte alles geben dürfen: Männerbands, Frauenbands, gemischte Bands, diverse Bands. Vielleicht könnte man einfach aufhören, bei „Frauenbands“ immer wieder darauf hinzuweisen, dass es Frauenbands sind. Oder, alternativ: wir sprechen ab jetzt auch immer von Männerbands, wenn wir von rein männlich besetzen Ensembles sprechen. Dann müssten wir aber alle je erschienenen Jazz-Bücher und die gesamte Jazzgeschichte umschreiben. Bisher gab es nämlich ja so gut wie ausschließlich nur Männer-Bands. Reine Männer-Bands, reine Männer-Festivals. Vielleicht wurden die alle ja nur wegen ihres Geschlechts ausgesucht?? 🙂 Sie sehen, manchmal hilft es, sich mal alles umgekehrt vorzustellen, dann wird einem die Absurdität bewusst. Vielleicht lassen wir diesen ganzen Quatsch aber auch einfach mal und konzentrieren uns auf das, worum es uns ja eigentlich geht: die Musik!
Welche „Jazz-Role-Models“ gab/gibt es für Sie?
E.K.: Viele. Meine Lehrer waren oft role models für mich, weil ich auch so tolle hatte. Heinrich Köbberling war und ist für mich ein Vorbild zum Beispiel, als Lehrer, Mensch und Musiker. Julia Hülsmann war und ist eine ungemein wichtige Mentorin für mich. Brian Blade verehre ich als Schlagzeuger. Daneben aber genau so Joni Mitchell und noch ganz viele andere. Ausserdem alle, die sich – sowohl gesamtgesellschaftlich als auch in unserer Szene – für Gleichstellung und Gerechtigkeit einsetzen. Eine wilde Mischung also.